Entscheidungsstichwort (Thema)

Pfändung der Honorarforderung des Vertragsarztes gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung

 

Orientierungssatz

1. Solange zugunsten des Pfändungsgläubigers gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) ein unbeschränkter Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vorliegt, ist die KV verpflichtet, die gepfändeten Honorarforderungen des Vertragsarztes gegenüber der KV vollständig an dessen Gläubiger auszuzahlen.

2. Die Vollstreckungsschutzvorschriften der §§ 811, 850 ff. ZPO sind von den Vollstreckungsorganen von Amts wegen zu beachten. Ein Verstoß gegen ein Pfändungsverbot führt lediglich zur Anfechtbarkeit. Der ergangene Pfändungs- und Überweisungsbeschluss ist bis zu dessen Aufhebung zu beachten.

3. Dies gilt selbst dann, wenn er zu Unrecht erlassen sein sollte. Dessen Wirkung bleibt nach § 836 Abs. 2 ZPO ungeachtet seiner möglichen Unzulässigkeit solange bestehen, bis er aufgehoben wird und die Aufhebung zur Kenntnis des Drittschuldners gelangt (BSG Urteil vom 12. Juni 1992, 11 Rar 139/90).

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 30.01.2014 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Auszahlung von vertragsärztlichem Honorar.

Er war bis zum Verzicht auf seine Zulassung im November 2010 als Kinderarzt in I zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen, ist verheiratet und Vater von vier 1990, 1991, 1993 und 1994 geborenen Kindern.

Am 01.08.2003 wurde über sein Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet (Amtsgericht F, Az: 160 IN 00/03). Den Praxisbetrieb gab der Insolvenzverwalter im Jahr 2005 in vollem Umfang aus der Insolvenzmasse frei. Nachfolgend wurden von zahlreichen Neugläubigern in etlichen Fällen die Honoraransprüche des Klägers gegen die Beklagte gepfändet, zum Teil durch Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse der Amtsgerichte F, I und I-X, zum Teil durch Pfändungs- und Einziehungsverfügungen bzw. Pfändungs- und Überweisungsverfügungen des Finanzamts und anderer Behörden (nachfolgend einheitlich PfÜB). Die PfÜB enthielten z.T. einen Verweis auf die Tabelle nach § 850c Abs. 3 Zivilprozessordnung (ZPO). In keiner Pfändungsmaßnahme war ein Pfändungsfreibetrag ausdrücklich bestimmt. In einigen war eine Anwendbarkeit von § 850c ZPO ausdrücklich ausgeschlossen. Viele PfÜB enthielten weder Angaben zu einem Pfändungsfreibetrag noch eine Bezugnahme auf die Tabelle zu § 850c ZPO. Solche PfÜB lagen der Beklagten zu jedem Zahlungszeitpunkt in einer Höhe vor, die 2.190,00 EUR überstieg. Aufgrund der Zwangsvollstreckungsmaßnahmen zahlte die Beklagte dem Kläger seit Dezember 2009 kein Honorar mehr aus. Inzwischen sind die Forderungen bis Nr. 31 der Aufstellung der Beklagten, soweit sie nicht - wie vereinzelt geschehen - von den Gläubigern zurückgenommen wurden, durch Zahlungen der Beklagten beglichen; die letzte Zahlung erfolge im April 2011. Über die ausgezahlte Summe hinausgehende Honoraransprüche des Klägers bestehen nicht.

Unter dem 01.06.2010 bat der Kläger die Beklagte, ihm den unpfändbaren Teil des Honorars auszuzahlen. Die Beklagte erwiderte mit Schreiben vom 07.06.2010, dass es ihr aus rechtlichen und tatsächlichen Gründen unmöglich sei, den unpfändbaren Teil des Honorars selbst zu ermitteln. Ihr seien weder die Familienverhältnisse des Klägers noch die Höhe seiner steuerlichen Verpflichtungen, der privaten Altersvorsorge bzw. der Aufwendungen zur privaten Altersvorsorge oder der sonstigen Praxisvorhaltekosten bekannt. Da der Vertragsarzt in keinem Lohnabhängigkeitsverhältnis zur Kassenärztlichen Vereinigung stehe, sei dieser nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gehalten, die der Pfändbarkeit entzogenen Anteile seines Honoraranspruchs durch gesonderten Beschluss des Gerichts nach § 850f Abs. 1a Zivilprozessordnung (ZPO) festsetzen zu lassen.

Der Kläger entgegnete unter dem 05.07.2010, dass es sich bei dem Vertragsarzthonorar um Arbeitseinkommen im Sinne des § 850 ZPO handele, bei dessen Pfändung die Vorschriften der §§ 850a bis 850i ZPO zu beachten seien. Wenn der Beklagten als Drittschuldnerin die Verhältnisse des Schuldners nicht bekannt seien, müsse sie zumindest den Grundfreibetrag nach § 850c ZPO an den Schuldner auszahlen. Dieser Verpflichtung sei sie aber nach Eingang der Pfändung eines Neugläubigers im Dezember 2009 nicht nachgekommen. Der Hinweis der Beklagten auf § 850f ZPO gehe fehl, da diese Vorschrift nur den (z.B. nach § 850c ZPO) pfändbaren Teil des Arbeitseinkommens betreffe. Da sich die Höhe des nach § 850c ZPO pfändungsfreien Arbeitseinkommens bereits aus der Tabelle und den der Beklagten vorliegenden Informationen ergebe, könne der Schuldner nicht dessen Feststellung durch den Rechtspfleger beantragen. Die Beklagte möge daher den für die Monate Dezember 2009 bis Juni 2010 aufgelaufenen Grundfreibetrag in Höhe von 989,99 EUR, also insgesamt 6.929,93 EUR, bis zum 25.06.2010 an den Anwalt des Klägers überweisen. Der Kläger wer...

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