Entscheidungsstichwort (Thema)

Unfallversicherung. MdE-Bemessung. Lärmschwerhörigkeit. Tinnitus. psychische Störungen

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ohrgeräusche (Tinnitus) sind bei der Bemessung der MdE auch dann zu berücksichtigen, wenn die berufsbedingte Lärmschwerhörigkeit selbst keine meßbare MdE bedingt.

2. Zur Bewertung der MdE bei der BKVO Anl 1 Nr 2301, wenn bei der Hörstörung ein Tinnitus zu berücksichtigen ist, der zu psychoreaktiven Störungen geführt hat.

 

Tatbestand

Streitig ist der Anspruch des Klägers auf Gewährung einer Verletztenrente wegen einer Berufskrankheit - BK - nach Nr. 2301 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung - BKVO - (Lärmschwerhörigkeit), wobei insbesondere umstritten ist, ob eine Minderung der Erwerbsfähigkeit - MdE - in rentenberechtigendem Grade durch zusätzliche Ohrgeräusche (Tinnitus) und deren psychische Begleiterscheinungen erreicht wird.

Der 1939 geborene Kläger ist gelernter Maschinenschlosser und war von 1964 bis 1983 im Behälterbau (Schweißerei) in einem lärmintensiven Arbeitsbereich beschäftigt. Von Juli 1983 bis zum Eintritt seiner Arbeitsunfähigkeit im März 1994 arbeitete er bei der K... Schweißtechnik GmbH in N... als Betriebsleiter in der Elektrodenfertigung, wo nach den Feststellungen des Technischen Aufsichtsdienstes - TAD - der Beklagten der Lärmpegel durchschnittlich 93 dB(A) betrug.

Im Februar 1993 erstattete der HNO-Arzt Dr. G... eine BK-Anzeige wegen Schwerhörigkeit und Tinnitus und gab dabei an, die Anzeige erfolge wegen des Tinnitus, der Lärmschaden sei unerheblich. In der Unternehmeranzeige der Arbeitgeberin wurde dementsprechend angegeben, der Kläger habe als Beschwerden Ohrenpfeifen geäußert und führe dies auf Lärmeinwirkungen zurück. Nachdem der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. R... am 17.02.1993 berichtet hatte, daß sich der Kläger bei ihm wegen Kopfschmerzen und eines Rauschens im Kopf im Februar 1993 vorgestellt, und er in psychischer Hinsicht beim Kläger einen leichteren Verstimmungszustand festgestellt hatte, erhielt der Kläger im D...-Krankenhaus in D... vom 10.03. bis 22.03.1993 stationär eine konservative Infusionsbehandlung und wurde mit der Diagnose: Tinnitus beidseits entlassen.

Die Beklagte holte bei dem Direktor des Instituts für Arbeitsmedizin der Universität D..., Prof. Dr. Dr. J..., ein ärztliches Gutachten vom 25.06.1993 ein. Dieser führte aus, das Vorliegen einer berufsbedingten Lärmschädigung sei wahrscheinlich. Aus dem Sprachaudiogramm resultierten noch keine Hörverluste und aufgrund des Tonschwellenaudiogramms sei für das rechte Ohr ein Hörverlust von 20 % sowie für das linke Ohr ein Hörverlust von 40 % festzustellen. Die links stärker ausgeprägte beidseits knapp geringgradige Lärmschwerhörigkeit und das verifizierte Ohrgeräusch seien ab dem Untersuchungstag am 23.06.1993 mit einer MdE von 20 v.H. zu bewerten. - Der Staatliche Gewerbearzt Dr. J... stimmte diesem Gutachten am 02.07.1993 zu, während der Arzt für Arbeitsmedizin Prof. Dr. P... in seiner Stellungnahme vom 25.11.1993 unter Einbeziehung des Ohrgeräuschs einen Versicherungsfall i.S. einer rentenberechtigenden MdE nicht für gegeben ansah, auch wenn das Ohrgeräusch einen MdE-Zuschlag rechtfertige. - Nachdem Prof. Dr. Dr. J... am 06.01.1994 dahingehend Stellung genommen hatte, daß er die knapp geringgradige Lärmschwerhörigkeit mit einer MdE von 10 v.H. und das ständige, stark belästigende Ohrgeräusch von hohem Krankheitswert ebenfalls mit einer MdE von 10 v.H. bewerte, veranlaßte die Beklagte eine Begutachtung durch den Chefarzt der Klinik für HNO-Heilkunde, Kopf- und Halschirurgie, am Krankenhaus H... der Kliniken der Stadt K..., Prof. Dr. B... Dieser stellte in seinem Gutachten vom 15.05.1994 beim Kläger eine lärmbedingte beidseits beginnende Innenohrschwerhörigkeit sowie einen damit im Zusammenhang stehenden dekompensierten Tinnitus fest und schätzte die lärmbedingte Gesamt-MdE unter Berücksichtigung des Tinnitus (seit seiner Untersuchung am 24.03.1994) auf 10 v.H. ein.

Die Beklagte lehnte daraufhin mit Bescheid vom 23.06.1994 die Gewährung von Verletztenrente mit der Begründung ab, die als BK anzuerkennende knapp geringgradige Lärmschwerhörigkeit beidseits mit Ohrgeräuschen habe keine rentenberechtigende MdE zur Folge. Den dagegen erhobenen Widerspruch vom 11.07.1994, in dem sich der Kläger auf die ärztlichen Atteste des Dr. G... vom 29.06.1994 und des Dr. R... vom 06.07.1994 berief, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 16.09.1994 zurück.

Am 13.10.1994 hat der Kläger beim Sozialgericht - SG - Düsseldorf Klage erhoben und geltend gemacht, für den HNO-Bereich müsse bereits eine Einzel-MdE von 10 v.H. angenommen werden und die infolge der Tinnitus-Symptomatik aufgetretene psycho-reaktive Störung sei ebenfalls mit einer MdE von 10 v.H. zu bewerten. Durch die vorliegend zu Recht vorzunehmende Addition dieser MdE- Werte errechne sich somit eine Gesamt-MdE von 20 v.H.

Die Beklagte hat eine nervenärztliche Stellungnahme des Neurologen und Psychiaters Prof. Dr. H... v...

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