Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Zulässigkeit und Begründetheit der Anfechtungsklage. Grundsicherung für Arbeitsuchende. keine Geltendmachung eines Erstattungsanspruchs des Grundsicherungsträgers gegen den Vermieter des Hilfebedürftigen wegen Mietüberzahlung per Verwaltungsakt. Handlungsformverbot

 

Orientierungssatz

1. Erhebt ein Vermieter Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt, mit dem ein Grundsicherungsträger von ihm die Rückzahlung überzahlter Miete fordert, so handelt es sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit iS des § 51 Abs 1 Nr 4a SGG.

2. Für die Festsetzung eines Erstattungsanspruchs durch Verwaltungsakt ist es erforderlich, dass es sich um einen Anspruch handelt, der sich als Kehrseite des Leistungsanspruchs in einem öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnis darstellt.

3. Ein solches Über- und Unterordnungsverhältnis besteht zwischen dem Grundsicherungsträger und dem Leistungsempfänger. Es besteht dagegen nicht zwischen dem Träger und dem Vermieter des Hilfebedürftigen. Infolgedessen kann der Grundsicherungsträger einen Anspruch auf Erstattung überzahlter Miete gegenüber dem Vermieter nicht durch Verwaltungsakt geltend machen. Er muss vielmehr gegen diesen nach § 54 Abs 5 SGG unmittelbar auf Zahlung klagen.

4. Klagt der im Wege eines Verwaltungsaktes in Anspruch genommene Vermieter gegen den Grundsicherungsträger, so ist der ergangene Bescheid wegen Verstoßes gegen das Handlungsformverbot aufzuheben, ohne Prüfung der Frage, ob dem Träger gegenüber dem Vermieter ein Erstattungsanspruch materiell-rechtlich zusteht.

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 30.09.2010 geändert. Der Bescheid der Beklagten vom 06.12.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.02.2008 wird aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen. Gerichtskosten werden in beiden Rechtszügen nicht erhoben.

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 410 Euro festgesetzt.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin hatte an Leistungsempfänger nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) Wohnraum vermietet. Streitig ist, ob die beklagte B - Arbeitgemeinschaft für P (jetzt: Jobcenter P) befugt war, von ihr Erstattung einer Mietzahlung durch Verwaltungsakt zu fordern.

Die SGB-II-Leistungsempfänger U und L (im folgenden: Leistungsempfänger) mieteten zum 01.01.2006 von der Klägerin eine Wohnung in der Q-Straße 00 in P. Die monatliche Netto-Kaltmiete betrug 350 EUR, die monatliche Nebenkostenvorauszahlung 60 EUR. Sie zahlten die Brutto-Kaltmiete von 410 EUR nur für Januar 2006, für die vier Monate Februar bis einschließlich Mai 2006 dagegen nicht. Wegen der Mietrückstände kündigte die Klägerin den Mietvertrag zum 30.04.2006. Nachdem die Wohnung nicht fristgemäß geräumt worden war, erhob die Klägerin im Mai 2006 vor dem Amtsgericht (AG) P Räumungsklage (Beiakte AG P). Der Räumungsanspruch der Klägerin wurde von den Leistungsempfängern vor dem AG P anerkannt (Anerkenntnisurteil vom 30.06.2006) und ein Ausgleich der Mietrückstände durch die Beklagte in Aussicht gestellt.

Die Beklagte bewilligte den Leistungsemfängern aufgrund ihres Antrages vom 27.04.2006 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II für die Zeit ab dem 27.04.2006 (Bescheid vom 20.06.2006).

Die Beklagte überwies die Miete für zwei Monate in Höhe von 820 EUR an die Klägerin, die Gutschrift auf dem Konto der Klägerin erfolgte am 23.06.2006. Die Leistungsempfänger zogen Anfang August 2006 aus der Wohnung der Klägerin aus. Eine weitere Monatsmiete ging bei der Klägerin am 07.07.2006 ein. Die Beklagte hatte die Klägerin über die Direktzahlung der Miete nicht informiert und insbesondere keine Übernahmeerklärung abgegeben.

Es waren insgesamt nach Angaben der Klägerin noch drei Monatsmieten offen, als am 04.05.2007 eine weitere Mietzahlung von 410 EUR dem Konto der Klägerin gutgeschrieben wurde. Diese Zahlung beruhte auf einer irrtümlich erfolgten Überweisung der Beklagten. Die Klägerin rechnete diesen Betrag auf ihre älteste Forderung, d.h. als Miete für den Monat Februar 2006 an. Aus der Überweisung der Beklagten ergab sich kein Bezugsmonat oder eine Verrechnungsbestimmung.

Nachdem der Fehler seitens der Beklagten bemerkt worden war, forderte sie mit Schreiben vom 08.05.2007 unter Hinweis auf ein "technisches Versehen" den Betrag von 410 EUR von der Klägerin zurück. Die Klägerin erwiderte, sie habe noch eine offene Mietforderung gegenüber den Leistungsempfängern für den Monat Juni 2006; über diese Forderung hatte die Klägerin einen Vollstreckungsbescheid (vom 24.07.2006) gegenüber den Leistungsempfängern erwirkt.

Mit weiteren Schreiben vom 22.08.2007 und 14.11.2007 erinnerte die Beklagte die Klägerin an die Erstattung. In der Erinnerung vom 22.08.2007 verwies die Beklagte auf eine versehentliche Mietzahlung für August 2006; diese weitere versehentliche Zahlung konnte allerdings bereits durch Zurückbuchung rückgängig gemacht werden. I...

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