Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld. Erstattungspflicht des Arbeitgebers. Befreiungstatbestand. Kündigung aus wichtigem Grund. Verdacht einer Straftat. Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach § 13 KSchG im arbeitsgerichtlichen Verfahren. Bindungswirkung der arbeitsgerichtlichen Entscheidung
Orientierungssatz
1. Ohne den Nachweis einer strafbaren Handlung kann eine Verdachtskündigung nur gerechtfertigt sein, wenn sich starke Verdachtsmomente auf objektive Tatsachen gründen, die Verdachtsmomente geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören und der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhaltes unternommen hat (vgl BAG vom 10.2.2005 - 2 AZR 189/04 = NZA 2005, 1056). Sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt, so liegt keine Berechtigung zur Kündigung aus wichtigem Grund iS von § 128 Abs 2 S 2 Nr 5 SGB 3 vor.
2. Das Recht des Arbeitgebers nach § 9 Abs 1 S 2 KSchG, das Arbeitsverhältnis durch das Arbeitsgericht auflösen zu lassen, steht nicht der Berechtigung zur Kündigung aus wichtigem Grund iS des § 128 Abs 1 S 2 Nr 5 AFG gleich (vgl BSG vom 16.10.2003 - B 11 AL 1/03 R = SozR 4-4100 § 128 Nr 1).
3. Die Auflösung des Arbeitsverhältnisses im arbeitsgerichtlichen Verfahren nach § 13 Abs 1 S 3 KSchG kann dem Befreiungstatbestand nach § 128 Abs 1 S 2 Nr 5 AFG ebenfalls nicht gleichgestellt werden.
4. Die gesteigerte Verantwortung des Arbeitgebers für die Arbeitslosigkeit des Arbeitnehmers in den Fällen der Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach §§ 9, 13 KSchG rührt aus dem Ausspruch einer rechtswidrigen Kündigung.
5. Nach § 13 Abs 1 S 3 KSchG hat bei einer unwirksamen außerordentlichen Kündigung nur der Arbeitnehmer und nicht der Arbeitgeber das Recht zum Auflösungsantrag. Ist der Betriebsrat ausschließlich zur beabsichtigten außerordentlichen, nicht jedoch auch zu einer hilfsweise ordentlichen Kündigung angehört worden, so scheitert eine Umdeutung der fristlosen in eine ordentliche Kündigung daran, dass sich eine ordentliche Kündigung wegen fehlender Anhörung des Betriebsrates nach § 102 Abs 1 S 3 BetrVG als unwirksam erwiesen hätte. Dieses Anhörungsversäumnis, das auf der Verletzung einer Schutznorm zugunsten des Arbeitnehmers beruht, schließt ein Auflösungsrecht des Arbeitgebers nach § 9 Abs 1 S 2 KSchG aus (vgl BAG vom 10.11.1994 - 2 AZR 207/94 = NZA 1995, 309).
6. Im Rahmen von § 128 Abs 1 S 2 Nr 5 AFG binden arbeitsgerichtliche Entscheidungen die sozialrechtliche Verwaltungs- und Entscheidungspraxis schon deshalb nicht, weil es nur auf das hypothetische Kündigungsrecht ankommt. Jedenfalls scheidet eine Bindung an arbeitsgerichtliche Entscheidungen jedoch dann aus, wenn sie - wie hier - auf einem gesetzlich nicht vorgesehenen Weg zustande gekommen sind.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 10.03.2003 wird zurückgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen, im Berufungsverfahren hinsichtlich der Gerichtskosten nach einem Streitwert von 14.401,83 EUR. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist, ob die Beklagte von der Klägerin die Erstattung des an ihren ehemaligen Arbeitnehmer, den Zeugen X H, gezahlten Arbeitslosengeldes (Alg) samt der darauf entfallenden Sozialversicherungsbeiträge verlangen darf.
Der 1940 geborene Zeuge H war seit dem 01.04.1964 bei der Beklagten beschäftigt. Die Klägerin kündigte das Arbeitsverhältnis ordentlich aus betriebsbedingten Gründen mit Schreiben vom 30.05.1997. Hiergegen erhob der Zeuge Kündigungsschutzklage und trug unter anderem vor, das Kündigungsschreiben sei ihm am Montag, dem 02.06.1997, zugestellt worden. An diesem Tag habe seine Ehefrau es dem Briefkasten entnommen. Im Kündigungsschutzverfahren wurde rechtskräftig festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 30.05.1997 nicht beendet worden sei (Arbeitsgericht (ArbG) Hamm, Urteil v. 14.01.1998, 3 Ca 1321/97; Landesarbeitsgericht (LAG) Hamm, Urteil v. 08.09.1998, 13 Sa 637/98; Bundesarbeitsgericht (BAG), Beschluss v. 26.05.1999, 10 AZN 120/99). Mit Schreiben vom 26.01.1998 kündigte die Klägerin das Arbeitsverhältnis fristlos mit der Begründung, der Zeuge H habe zu ihren Lasten im vorangegangen Kündigungsschutzverfahren vorsätzlich falsch vorgetragen und damit einen versuchten Prozessbetrug begangen. Daher sei die Vertrauensgrundlage für eine weitere Zusammenarbeit entfallen. Tatsächlich habe ihr Prokurist, der Zeuge Q, das Kündigungsschreiben vom 30.05.1997 nebst Vollmacht nämlich schon am 29.05.1997 in den Briefkasten des Zeugen H eingeworfen. Die hiergegen erhobene Kündigungsschutzklage hatte in erster Instanz Erfolg (ArbG Hamm, Urteil v. 03.11.1999, 3 Ca 221/98). Die Berufung der Klägerin wurde zurückgewiesen, das Arbeitsverhältnis auf ihren Hilfsantrag hin jedoch gemäß § 13 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) zum 26.01.1998 gegen Zahlung einer Abfindung von 115.000 D...