nicht rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Deutscher Sprach- und Kulturkreis
Leitsatz (redaktionell)
1. Für die Zugehörigkeit zum deutschen Sprach- und Kulturkreis kommt es wesentlich darauf an, inwieweit jemand die deutsche Sprache beherrscht und gebraucht hat (vgl. BSG, Urteil vom 10.3.1999 - B 13 RJ 25/98 R). Ein Verfolgter, der mehrsprachig aufgewachsen ist, kann dann dem deutschen Sprach- und Kulturkreis zugerechnet werden, wenn er die deutsche Sprache wie eine Muttersprache beherrscht und sie in seinem persönlichen Lebensbereich überwiegend verwendet hat (vgl. BSG SozR 5070 § 20 Nr. 4, 13; BSG SozR 3-5070 § 20 Nr. 1, 2).
2. Das Beherrschen der deutschen Schriftsprache gehört nicht zu den objektiven Mindestanforderungen einer Zugehörigkeit zum deutschen Sprach- und Kulturkreis (vgl. BSG, Urteil vom 10.3.1999 - B 13 RJ 25/98 R).
Normenkette
SGB VI §§ 35, 50 Abs. 1 S. 1 Nr. 1; FRG §§ 17a, 15
Verfahrensgang
SG Düsseldorf (Entscheidung vom 12.12.2001; Aktenzeichen S 5 RJ 51/99) |
Tenor
Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 12.12.2001 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger unter Anerkennung der von ihm vorgetragenen Pflichtbeitragszeiten in Polen in der Zeit von 1939 bis 1941 nach § 17 a in Verbindung mit § 15 des Fremdrentengesetzes (FRG) Regelaltersrente zu gewähren ist und ob er Anspruch auf Zulassung zur Nachentrichtung von freiwilligen Beiträgen nach dem Zusatzabkommen vom 17.12.1973 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel über soziale Sicherheit (ZA-DISVA) hat. Streitig sind sowohl die geltend gemachten Versicherungszeiten als auch die Zugehörigkeit des Klägers zum deutschen Sprach- und Kulturkreis (dSK).
Der am 00.00.1925 in C/Polen geborene Kläger ist jüdischer Abstammung und anerkannt Verfolgter im Sinne des Bundesentschädigungsgesetzes (BEG). Der Kläger lebte zunächst in seinem Geburtsort, wo er von 1932 bis 1939 eine jüdische Religionsschule mit hebräischer Unterrichtssprache besuchte. Von 1941 bis 1945 war er der nationalsozialistischen Verfolgung ausgesetzt. Von 1945 bis 1948 lebte er im Anschluss an seine Befreiung in Italien. Von 1948 bis 1971 lebte er in Uruguay. Von dort wanderte er 1971 nach Israel aus. Dort lebt er noch heute und besitzt die israelische Staatsangehörigkeit.
Am 12. Dezember 1995 stellte der Kläger über den israelischen Sozialversicherungsträger bei der Beklagteneinen Antrag zur Zulassung zur Nachentrichtung freiwilliger Beiträge und zur Gewährung von Regelaltersrente. Die Beklagte zog zur Sachverhaltsaufklärung die Entschädigungsakte des Klägers vom Amt für Wiedergutmachung in Saarburg bei. Dort hatte der Kläger als erlernten Beruf bei der Antragstellung im Jahr 1954 Mechaniker angegeben. In einem ärztlichen Gutachten im Rahmen des Entschädigungsverfahrens aus dem Jahre 1970 heißt es in der Vorgeschichte, die nach den Angaben des Antragstellers bei der Untersuchung zu erstatten war: "von 1939 bis 1941 bei den Russen Mechanikerlehre". Die Richtigkeit und Vollständigkeit seiner Angaben hatte der Kläger auf der letzten Seite des Gutachtens mit seiner Unterschrift bestätigt. Erstmals im Verlauf einer Sprachprüfung beim israelischen Finanzministerium am 20 November 1996 gab er an, von 1939 bis 1941 als Schlosser gearbeitet zu haben.
Mit seinem Antrag auf Zulassung zur Nachentrichtung freiwilliger Beiträge nach dem ZA-DISVA machte der Kläger geltend, dem dSK angehört zu haben. Hierzu gab er in einem Fragebogen an, er habe die deutsche und polnische (von 1939 bis 1941 auch die russische) Sprache in seinem Heimatgebiet in Wort und Schrift beherrscht. Im persönlichen Lebensbereich (in der Familie) sei überwiegend bis zur Zeit der Auswanderung aus dem Herkunftsgebiet deutsch gesprochen worden. Auch außerhalb der Familie sei im Herkunftsgebiet bis zu diesem Zeitpunkt überwiegend die deutsche Sprache benutzt worden. Der Kläger gab weiter an, er habe nicht jiddisch gesprochen, habe jedoch die jüdische Religionsschule in C besucht, deren Unterrichtssprache hebräisch gewesen sei.
Die Beklagte zog eine Auskunft der Heimatauskunftstelle (Hast) Polen II beim Landesausgleichsamt Niedersachsen über die Sprach- und Bevölkerungsstruktur von C aus dem Jahr 1978 bei, die in einem anderen Verfahren erteilt worden war. Aus der Auskunft geht hervor, dass anlässlich einer Volkszählung im Jahre 1931 in C von insgesamt 91.101 Einwohnern 46.386 Polnisch, 38.790 Jiddisch bzw. Hebräisch und 1.948 Deutsch als Muttersprache genannt hatten. Die übrigen hatten andere Sprachen angegeben. 39.165 Einwohner hatten angegeben mosaischen Glaubens zu sein. Der Auskunft lässt sich weiter entnehmen, dass die Stadt C in einem Gebiet gelegen hat, in dem der überwiegende Teil der Israeliten Jiddisch gesprochen hat, ein Teil auch polnisch.
Die Beklagte veranlasste eine Sprachprüfung beim israelischen Finanzministerium in Tel Aviv, die dort am 20. November 1996 stattfand. De...