Entscheidungsstichwort (Thema)
Streitgegenstand. Zusammenrechnung. Feststellungsklage. Subsidiarität. Befreiung. Zuzahlung. Befreiungsausweis. Vertrauensschutz. Verfassungsrecht. Gesetzgeberisches Gestaltungsermessens. Satzung: Versicherungsbedingungen. Klageerweiterung. Anfechtungs- und Leistungsklage. Allgemeine Leistungsklage. Subordinationsverhältnis
Leitsatz (redaktionell)
1. Werden mit einer Klage mehrere Ansprüche geltend gemacht und im Berufungsverfahren weiter verfolgt, so sind für die Bemessung des Wertes des Streitgegenstandes diese Ansprüche zusammenzurechnen.
2. Die Subsidiarität der Feststellungsklage steht der Zulässigkeit nicht entgegen, wenn eine andere - vorrangige - Klageart erkennbar nicht in Betracht kommt.
3. Die gesetzlichen Neuregelungen in Bezug auf den Wegfall früherer Befreiungen von Zuzahlungen; und die damit verbundene Rückforderung des Befreiungsausweises verstoßen nicht - auch nicht aus Gründen des Vertrauensschutzes - gegen das GG, sondern es handelt sich vielmehr um im Rahmen des gesetzgeberischen Gestaltungsermessens zulässige Leistungseinschränkungen im Rahmen systembezogener Strukturmaßnahmen, die dem übergeordneten Zweck dienen, die Leistungsfähigkeit des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung zu erhalten und die Eigenverantwortung des Versicherten zu stärken
4. Eine Krankenkasse ist nicht befugt, in ihrer Satzung oder ihren Versicherungsbedingungen Leistungen vorzusehen, die in den gesetzlichen Vorschriften, insbesondere des SGB V, nicht vorgesehen sind.
5. Ungeachtet der Zulässigkeit einer zweitinstanzlichen Klageerweiterung ist eine (geänderte) Klage unzulässig, wenn es erkennbar an einer Entscheidung der Beklagten über den geltend gemachten Rückzahlungsanspruch, die im Verhältnis Sozialleistungsträger - Versicherter für eine zulässige Anfechtungs- und Leistungsklage erforderlich ist, fehlt.
6. Die allgemeine Leistungsklage ist im Subordinationsverhältnis nicht statthaft.
7. Die Feststellungsklage ist in Fällen, in denen direkt auf die begehrte Leistung geklagt werden könnte, subsidiär.
Normenkette
SGB V §§ 1, 59, 62 Abs. 1 S. 2, § 194 Abs. 2 Sätze 1-2; SGG § 54 Abs. 4-5, § 55 Abs. 1 Nr. 1, § 99 Abs. 1, §§ 143, 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 153 Abs. 1; ZPO § 5
Tenor
Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 17.08.2004 wird zurückgewiesen. Die Klage auf Zahlung von 65,00 Euro wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen die Aufhebung der Zuzahlungsbefreiung für das Jahr 2004 (und die deshalb von der Beklagten geforderte Rückgabe des Befreiungsausweises) und begehrt außerdem die Feststellung, dass trotz der zum 01.01.2004 erfolgten Gesetzesänderung weiterhin Anspruch auf Sterbegeld bestehe.
Der 1930 geborene Kläger ist schwerbehindert und chronisch krank. Er ist bei der Beklagten gegen Krankheit versichert.
Die Beklagte gewährte dem Kläger mit am 23.10.2002 abgesandtem Befreiungsbescheid nach § 62 Abs. 1 Satz 2 SGB V in der bis zum 31.12.2003 maßgeblichen Fassung (im Folgenden: aF) teilweise Befreiung von Zuzahlungen zu Arznei-, Verband- und Heilmitteln, stellte fest, dass für den Zeitraum 01.01.2003 bis 31.12.2004 sämtliche Zuzahlungen entfallen, und stellte ihm einen entsprechenden Befreiungsausweis aus.
Mit Schreiben vom 01.12.2003 wandte sich der Kläger an die Beklagte mit der Bitte, ihn über die ab dem 01.01.2004 geltenden Zuzahlungsregelungen zu informieren und ihm Auskunft darüber zu geben, ob mit diesem Zeitpunkt auch das Sterbegeld entfalle. Die Beklagte teilte ihm u.a. mit, dass die Gesetzesänderungen ab dem 01.01.2004 gelten, und sie daher verpflichtet sei, alle Zuzahlungsbefreiungen zurückzufordern. Deshalb würden alle Versicherten mit Befreiungsausweis aufgefordert, diesen bis zum 16.01.2004 zurückzugeben. Das Sterbegeld sei mit der Änderung des § 21 SGB I gestrichen worden (Schreiben vom 17.12.2003). Darauf antwortete der Kläger, dass die Beklagte den ihm "mit Verfall vom 31.12.2004" ausgestellten Befreiungsausweis nicht zurückerhalten werde. Bei den Gesetzesänderungen handele es sich um eine willkürliche Verschlechterung zum Nachteil des Versicherten. Er werde gerichtlich prüfen lassen, ob diese Rechtsauffassung Bestand habe. Bis zum Vorliegen eines rechtskräftigen Urteils leiste er alle Zuzahlungen unter Vorbehalt (Schreiben vom 29.12.2003). Darauf bestätigte die Beklagte nochmals die Richtigkeit ihrer Angaben vom 17.12.2003 (Schreiben vom 06.01.2004).
Der Kläger hat am 15.01.2004 Klage zum Sozialgericht (SG) Köln erhoben und beantragt, der Beklagten zu untersagen, die ausgestellte Befreiungsbescheinigung für Zuzahlungen bis zum 31.12.2004 wie angekündigt bereits per 01.01.2004 für ungültig zu erklären und im Todesfall die "gemäß Versicherungsbedingungen zugesagte Leistung Sterbegeld" zu bezahlen. Die Beklagte sei außerdem nach ihrer Satzung verpflichtet, Sterbegeld zu zahlen. Er habe darauf vertraut, diese Leistung zu erhal...