Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlagebeschluß. Entziehung des Kindergeldanspruches für Ausländer mit Aufenthaltsbefugnis. Verfassungsmäßigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

Ist § 1 Abs 3 S 1 BKGG idF des Art 5 Nr 1 SKWPG 1 vom 21.12.1993 (BGBl I 2353) mit dem GG vereinbar?

 

Orientierungssatz

Aussetzungs- und Vorlagebeschluss vom 29.11.2002 - L 13 Kg 53/02 aufgehoben

 

Tatbestand

Der 1964 geborene Kläger verlangt die Zahlung von Kindergeld für seinen am 12.03.1995 geborenen Sohn.

Er ist ghanesischer Staatsangehöriger und reiste im Januar 1989 in die Bundesrepublik. Seit Februar 1989 lebt er im Haushalt der Eheleute  in      die ihn im September 1989 adoptierten. Den Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter lehnte die zuständige Ausländerbehörde beim Kreis M ab. Sie versuchte wiederholt, den Kläger auszuweisen: Dieser wandte sich an den Petitionsausschuß des Landtags von Nordrhein-Westfalen (NRW) und erhielt schließlich am 15.10.1991 die derzeit bis 01.04.1997 befristete Aufenthaltsbefugnis. Der Kläger, der eine Arbeitserlaubnis besitzt, arbeitete im Jahr 1995 und verdiente 38.541 DM. Unter Berücksichtigung eines Kinderfreibetrages betrug die Einkommensteuer 2.370 DM, wobei im Hinblick auf die Freistellung des Existenzminimums § 32d Einkommensteuergesetz (EStG) zur Anwendung kam (Bescheid Finanzamt H vom 21.08.1996). Der Kläger ist verheiratet. Seine hier lebende Ehefrau ist ebenfalls im Besitz einer Aufenthaltsbefugnis.

Er beantragte am 23.03.1995 Kindergeld für seinen Sohn. Den Antrag wies die Beklagte mit Bescheid vom 08.05.1995, bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 21.06.1995 zurück. § 1 Abs. 3 Bundeskindergeldgesetz (BKGG in der Fassung des Art. 5 Nr. 1 des Ersten Gesetzes zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms -1. SKWPG- vom 21.12.1993 -BGBl I 2353-) fordere ab 01.01.1994 den Besitz der Aufenthaltsberechtigung bzw. Aufenthaltserlaubnis als eigenständige Tatbestandsvoraussetzung. Der Besitz nur der Aufenthaltsbefugnis erfülle diese Voraussetzungen nicht.

Im Klageverfahren hat der Kläger darauf hingewiesen, daß er als Adoptivsohn deutscher Eltern auf Dauer in Deutschland leben und sein Kind sogar die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten werde.

Das Sozialgericht Düsseldorf (SG) hat die Klage durch Urteil vom 10.07.1996 abgewiesen und die Rechtsauffassung der Beklagten bestätigt. Der Kläger sei nicht in Besitz der Aufenthaltsberechtigung oder Aufenthaltserlaubnis. An die Entscheidung der Ausländerbehörde sei das Gericht gebunden, weil der Entscheidung Tatbestandswirkung zukomme. Die Neufassung des § 1 Abs. 3 BKGG 1994 sei nicht verfassungswidrig.

Der Kläger hat gegen das ihm am 01.08.1996 zugestellte Urteil am 02.09.1996 Berufung eingelegt.

Der Kläger beantragt schriftsätzlich,

das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 10. Juli 1996 zu ändern und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 08. Mai 1995 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21. Juni 1996 zu verurteilen, ihm ab März 1995 Kindergeld für seinen Sohn Brian zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Sie hat sich in der mündlichen Verhandlung als Familienkasse verpflichtet, über den Anspruch auf Kindergeld ab Januar 1996 neu zu entscheiden.

Der Senat hat (im Verfahren L 13 Kg 81/95) zur Höhe des durchschnittlichen Sozialhilfebedarf für Kinder im Jahr 1995 am 08.01.1996 eine Auskunft des Bundesministeriums für Gesundheit -BMG- eingeholt und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht. Hiernach lag der durchschnittliche Sozialhilfebedarf für Kinder im Jahr 1995 bei DM 7.308. Es hat weiterhin eine im Verfahren S 10 Kg 32/95 SG Köln (Auskunft des BMG vom 25.11.1996) erstellte Tabelle zur Höhe des durchschnittlichen Bedarfs beigezogen, die wegen einer geänderten Berücksichtigung der Heiz- und Warmwasserkosten abweichende Werte enthält. 1995 betrug danach der Gesamtbedarf 7.296 DM.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Kindergeldakte.

 

Entscheidungsgründe

Der Senat hat das Verfahren gemäß Art. 100 Abs. 1 Grundgesetz (GG) ausgesetzt, um eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu der Frage einzuholen, ob § 1 Abs. 3 Satz 1 BKGG in der Fassung des Art. 5 Nr. 1 des Ersten Gesetzes zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms (1. SKWPG vom 21.12.1993 -BGBl I 2353-) das Grundgesetz verletzt. Die Vorschrift lautet.

"Ein Ausländer hat einen Anspruch nach diesem Gesetz nur, wenn er im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung oder Aufenthaltserlaubnis ist."

Von der Gültigkeit dieses Gesetzes hängt die Entscheidung des Senates ab.

Die Berufung ist statthaft und zulässig. Berufungsausschließungsgründe sind nicht ersichtlich. Es geht hier um die laufende Zahlung von Kindergeld für mehr als ein Jahr (§ 144 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz).

Die durch Art. 2 des Jahressteuergesetzes 1996 vom 11.10.1995 (BGBl. I, 1250) zum 01.01.1996 geänderte Rechtslage, nach der Kindergeld im Rahmen...

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