Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld II. Angemessenheit der Unterkunfts- und Heizkosten. Pauschalierung. Anforderung an die Aufforderung zur Kostensenkung
Leitsatz (amtlich)
Nach § 22 Abs 1 S 1 SGB 2 dürfen Leistungsträger keine Pauschalen für die Heiz- oder Nebenkosten ohne Prüfung des konkreten Einzelfalls zur Grundlage ihrer Leistungserbringung machen.
Orientierungssatz
Die Pflicht des Leistungsträgers zur Belehrung des Hilfeempfängers über dessen Obliegenheiten und deren Folgen bei Nichtbeachtung, um den Lauf der Frist von 6 Monaten gem § 22 Abs 1 S 3 SGB 2 nF in Gang zu setzen, kann dem Begriff der Zumutbarkeit entnommen werden und folgt auch daraus, dass für den Hilfeempfänger erhebliche nachteilige Auswirkungen in Bezug auf die Kürzung seines Leistungsanspruchs entstehen, wenn er der ihn treffenden Obliegenheit nicht nachkommt (vgl LSG Mainz vom 19.9.2006 - L 3 ER 161/06 AS).
Tenor
1. Auf die Beschwerde der Beschwerdeführerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Koblenz vom 05.07.2006, mit dem der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt worden ist, geändert und die Beschwerdegegnerin verpflichtet, der Beschwerdeführerin vorläufig in der Zeit vom 26.06.2006 bis zum 30.11.2006 für ihre Wohnung in W , M , Unterkunfts- und Heizkosten in der von ihr tatsächlich aufgewandten Höhe zu gewähren. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
2. Die Beschwerdegegnerin trägt die Hälfte der außergerichtlichen Kosten der Beschwerdeführerin sowohl im Antrags- als auch im Beschwerdeverfahren.
3. Der Beschwerdeführerin wird für die Durchführung des Beschwerdeverfahrens Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt G , I , als Prozessbevollmächtigter beigeordnet.
Gründe
I.
Die Beschwerdeführerin begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Verpflichtung der Beschwerdegegnerin, ihr über den 31.05.2006 hinaus die tatsächlichen Kosten für die von ihr und ihrem Sohn bewohnte Wohnung als Leistung der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) zu gewähren und bei der Bewilligung ihrer Leistungen keine Unterhaltsleistungen für ihren Sohn zu berücksichtigen.
Die 1961 geborene Beschwerdeführerin bewohnt zusammen mit ihrem 1995 geborenen Sohn eine 81 m² große Wohnung, für die sie eine monatliche Kaltmiete in Höhe von 370,00 € zu zahlen hat. Bei der Beschwerdeführerin hat das Amt für soziale Angelegenheiten Mainz (früher Versorgungsamt Mainz) mit Bescheid vom 12.11.1987 bei einem Grad der Behinderung (GdB) von 50 als Behinderung anerkannt: Intrinsic Asthmabronchiale bei konversionsneurotischer Symptomatik. Das Amtsgericht Westerburg hat am 04.05.2005 Rechtsanwältin E , L , als Berufsbetreuerin für die Beschwerdeführerin bestellt mit dem Aufgabenkreis: die Sorge für die Gesundheit der Betroffenen, die Aufenthaltsbestimmung und die Entscheidung über die Unterbringung, die Entscheidung über unterbringungsähnliche Maßnahmen (§ 1906 Abs. 4 BGB), die Vermögenssorge, die Geltendmachung von Ansprüchen auf Altersversorgung, Sozialhilfe, Unterhalt, Behördenangelegenheiten.
Erstmals bewilligte die Beschwerdegegnerin der Beschwerdeführerin mit Bescheid vom 25.08.2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit vom 19.05.2005 bis zum 30.11.2005, wobei sie in vollem Umfang die von der Beschwerdeführerin aufgewandten Kosten der Unterkunft berücksichtigte. Auf den Antrag der Beschwerdeführerin vom 01.12.2005 gewährte die Beschwerdegegnerin der Beschwerdeführerin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit vom 01.12.2005 bis 31.05.2006 in Höhe von 686,00 €. Dabei berücksichtigte sie 253,00 € Unterhalt als Einkommen des Sohnes der Beschwerdeführerin. Der Bescheid vom 28.12.2005 enthielt den Hinweis, dass gemäß § 22 Abs. 1 SGB II Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht würden, soweit diese angemessen seien. Die derzeitigen Kosten der Unterkunft in Höhe von insgesamt 500,00 € seien unangemessen hoch und würden daher nicht dauerhaft anerkannt. Als angemessene Kosten der Unterkunft für die Beschwerdeführerin (und die Mitglieder ihrer Bedarfsgemeinschaft) könnten bis zu 60 m², 4,30 €/m² Kaltmiete, 1,25 €/m² Nebenkosten sowie 0,82 €/m² Heizkosten anerkannt werden. Die Beschwerdeführerin werde aufgefordert bis zum 31.05.2006 die Kosten der Unterkunft zu reduzieren und über ihre Bemühungen entsprechende nachprüfbare Nachweise vorzulegen. Mangelnde Bemühungen stellten eine fehlende Mitwirkung dar, wonach die Hilfe ganz oder teilweise bis zur Nachholung der erforderlichen Mitwirkung eingestellt werde. Dieser Hinweis gelte als schriftliche Belehrung gemäß § 66 Abs. 3 SGB I. Bis zum 31.05.2006 würden die Unterkunftskosten in der beantragten Höhe anerkannt. Danach würden diese nur noch im oben angegebenen angemessenen Umfang anerkannt. Im hiergegen angestrengten Widerspruchsverfahren führte die Beschwerdeführerin aus, sie beziehe tatsächlich nur 241,00 € Unterhalt. Ein Umzug sei ihr ni...