Entscheidungsstichwort (Thema)
Schwerbehindertenrecht. Merkzeichen aG. außergewöhnliche Gehbehinderung. Gleichstellung mit Regelbeispielen. Restgehvermögen. 20 bis 30 Meter mit Handstock. 50 Meter mit Vier-Punkt-Gehstütze im Nachstellschritt
Orientierungssatz
Eine außergewöhnliche Gehbehinderung (Merkzeichen aG) liegt noch nicht vor, wenn der behinderte Mensch zwar in ungewöhnlich hohem Maße in seiner Gehfähigkeit beeinträchtigt ist, er sich aber mit Handstock ohne größere Kraftanstrengung zumindest ca 20 bis 30 Meter bzw mit einer Vier-Punkt-Gehstütze im Nachstellschritt noch etwa 50 Meter fortbewegen kann.
Tenor
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 15.01.2015 wird zurückgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Beteiligten streiten über die Feststellung des Nachteilsausgleichs aG nach dem Sozialgesetzbuch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX).
Bei der im Jahr 1959 geborenen Klägerin ist mit Bescheid des Amtes für soziale Angelegenheiten Landau vom 28.11.2012 ein Grad der Behinderung (GdB) von 70 sowie der Nachteilsausgleich erheblich gehbehindert (G) festgestellt, wobei die Behinderung bezeichnet wurde als:
1. Halbseitenparese rechts, kognitive Defizite nach intracerebraler Blutung, Psychosomatose, Depression, Adipositas (GdB 70);
2. hypertensive Herzkrankheit, Bluthochdruck (GdB 20).
Im Februar 2013 beantragte die Klägerin die Feststellung eines höheren GdB so- wie des Nachteilsausgleichs aG (außergewöhnlich gehbehindert) und gab an, die Schlaganfallsfolgen wie Lähmung des rechten Beines hätten sich verschlimmert. Zudem seien Taubheitsgefühle der rechten Hand hinzugekommen. Zur Begründung legte sie ein Attest der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. G vor. Diese bescheinigte, unter der jetzt wieder normalen Belastung im Beruf komme es bei der Klägerin zu einer Verschlechterung der Beweglichkeit beim Gehen. Sie benötige wegen Sturzgefahr eine Vierpunkt-Gehhilfe. Es bestehe durch die Einschränkungen das Problem, dass sie bei einer Körpergröße von 171 cm und einem Gewicht von 125 kg nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten aus dem Pkw aussteigen könne.
Nach versorgungsärztlicher Beteiligung lehnte der Beklagte den Antrag der Klägerin mit Bescheid vom 11.10.2013 ab. Eine Verschlimmerung der Behinderung sei nicht zu erkennen, so dass der GdB unverändert mit 70 festgestellt bleibe. Auch die Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs aG lägen nicht vor. Der Beklagte ließ die Klägerin im Widerspruchsverfahren durch den Arzt für Chirurgie K begutachten. Dieser führte nach einer Untersuchung im Mai 2014 aus, seitens der unteren Extremitäten sei die passive und aktive Beweglichkeit der Hüft- und Kniegelenke und Fußgelenke erhalten. Muskelatrophien seien nicht sichtbar. Bei der Klägerin beständen ein leicht reduzierter Allgemein- und ein deutlich übermäßiger Ernährungszustand bei Zustand nach linksseitiger Hirnblutung. Die Wegstrecke sei mit Vierpunkt-Stock eingeschränkt, ebenfalls seien anamnestisch Einschränkungen der Gehstrecke mit Rollator feststellbar. Der GdB sei weiter mit 70 zutreffend, jedoch solle das Merkzeichen B und Parkerleichterung in Rhein- land-Pfalz festgestellt werden, während die Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs aG nicht gegeben seien. Mit Widerspruchsbescheid vom 23.05.2014 änderte der Beklagte daraufhin den Bescheid vom 11.10.2013 ab, stellte die Voraussetzungen der Nachteilsausgleiche G und B, nicht aber den Nachteilsausgleich aG fest.
Im vor dem Sozialgericht Speyer durchgeführten Klageverfahren hat das Sozialgericht Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens der Ärztin für Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. G , Chefärztin des Z am M L . Die Sachverständige ist nach einer Untersuchung der Klägerin im September 2014 im Wesentlichen zu dem Ergebnis gelangt, bei der Klägerin bestehe eine Mobilitätseinschränkung. Sie sei nicht in der Lage, frei zu stehen, könne jedoch mit einer Vierpunkt-Gehstütze kürzere Strecken im Nachstellschritt langsam bewältigen. Nach eigenen Angaben könne die Klägerin mit dem Rollator ca. 500 bis 600 Meter gehen. Ebenso würden Treppenstufen mit Festhalten am Geländer im Nachstellschritt absolviert. Das Ein- und Aussteigen aus dem Pkw gelinge selbständig ohne fremde Hilfe, wobei ein Festhalten an der Tür erforderlich sei. Die Vierpunkt-Gehstütze würde problemlos in den hinteren Pkw-Bereich verstaut und sei zum Ein- und Aussteigen nicht erforderlich. Bei der Untersuchung zeige sich eine freie Beweglichkeit im Bereich beider unterer Extremitäten, ohne dass eine Atrophie der Beinmuskulatur im Seitenvergleich bestehe. Es finde sich ein leichtes Taubheitsgefühl im Bereich des rechten Beines. Die Überprüfung der Motorik im Rahmen der Begutachtung zeige nur ein geringes Kraftdefizit des rechten Beines. Eine Verschlechterung der Mobilisierung könne nicht festgestellt werden. Zum Ein- und Aussteigen einer Fahrertür ihres Pkw werde die Vierpunk...