Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. einstweiliger Rechtsschutz. Anwendbarkeit des § 929 Abs 2 ZPO. Monatsfrist. Bewilligung von Leistungen nach dem SGB 2. effektiver Rechtsschutz. Sicherstellung eines menschenwürdigen Lebens
Leitsatz (amtlich)
1. Für die Vollziehung eines im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nach § 86b Abs 2 SGG ergangenen Beschlusses über die Bewilligung von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB 2 gilt die Einmonatsfrist des § 929 Abs 2 ZPO. Werden Vollstreckungsmaßnahmen von dem Berechtigten nicht innerhalb der Monatsfrist eingeleitet, ist die Vollstreckung aus dem Beschluss unstatthaft und der Beschluss im Beschwerdeverfahren wegen veränderter Umstände aufzuheben.
2. Das Recht des Antragstellers auf Sicherstellung eines menschenwürdigen Lebens iV mit der Garantie effektiven Rechtsschutzes kann allenfalls ganz ausnahmsweise, bei gegenwärtig drohenden, schweren und unzumutbaren Beeinträchtigungen, eine andere Bewertung gebieten. Vorrangig hat der Antragsteller eine erneute einstweilige Anordnung beim zuständigen Sozialgericht zu erwirken.
Tenor
1. Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Mainz - S 8 AS 1467/10 ER - vom 12.11.2010 aufgehoben.
2. Außergerichtliche Kosten für das Beschwerdeverfahren sind nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt die (einstweilige) Übernahme einer Heizkostenforderung (Erdgas) als Darlehen.
Der 1949 geborene und alleinlebende Antragsteller bezieht seit 21.06.2005 nahezu ununterbrochen laufende Leistungen zur Grundsicherung nach dem SGB II von dem Antragsgegner. Er bewohnt ein eigenes Einfamilienhaus in der … mit einer Grundstücksgröße von 272 Quadratmetern (m 2 ). Die Wohnfläche beträgt nach den Angaben des Antragstellers ca. 75 m 2 , nach Auffassung des Antragsgegners ca. 95 m 2 .
Der Antragsgegner hat dem Antragsteller mit Bescheid vom 18.06.2010 (vorläufig) in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.08.2010, geändert durch Bescheid vom 19.10.2010 und 16.12.2010 (ohne ausdrücklichen Vorläufigkeitsvermerk) u. a. Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von 288,29 € für die Monate Juli bis November 2010 und in Höhe von 178,43 € für Dezember 2010 bewilligt und dabei Zinskosten des Antragstellers in Höhe von monatlich 55,- € berücksichtigt. Ohne Vorlage eines aktuellen Nachweises könnten die Schuldzinsen nicht in tatsächlicher Höhe berücksichtigt werden (letztmals nachgewiesene Zinsbelastung für Dezember 2009: 56,27 €). Tilgungskosten wurden nicht miteinbezogen. Bis einschließlich November 2010 berücksichtigte der Antragsgegner die Betriebskosten und die Heizkosten (monatliche Abschlagszahlung: 188,- €) in tatsächlicher Höhe bzw. in bereinigter tatsächlicher Höhe (d.h. abzüglich der Kosten der Warmwasserbereitung). Ab Dezember 2010 wurden die Heizkosten nur noch in Höhe des sich aus dem bundesweiten Heizspiegel ermittelten Grenzwertes von 71,67 € anerkannt. Zuvor hatte der Antragsgegner den Antragsteller mit einer Kostensenkungsaufforderung vom 20.05.2010 darauf hingewiesen, dass überdurchschnittliche Heizkosten nach Ablauf von sechs Monaten nicht mehr übernommen würden und gab die jährlich übernahmefähigen Heizkosten auf Grundlage des bundesweiten Heizspiegels mit 860,- € (17,20 € x 50 m 2 ) an. Wegen der Frage der Höhe der Leistungen für Unterkunft und Heizung ist ein Rechtsstreit vor dem Sozialgericht Mainz unter dem Aktenzeichen S 8 AS 1316/10 anhängig. Ein entsprechender Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz ist erfolglos geblieben (Beschluss des Senats vom 12.01.2011 - L 6 AS 611/10 B ER).
Unabhängig davon beantragte der Antragsteller mit Schreiben vom 26.03.2010 u.a. die darlehensweise Übernahme eines Zahlungsrückstandes bei der … für Gasheizungskostenabschläge in Höhe von 3.557,56 €. Mit Bescheid vom 18.05.2010 lehnte der Antragsgegner den Darlehensantrag ab. Die Zahlungsrückstände seien selbstverschuldet, da der Antragsteller im Jahr 2009 keine Abschläge gezahlt habe. Der dagegen erhobene Widerspruch wurde vom Antragsgegner mit Widerspruchsbescheid vom 02.09.2010 als unbegründet zurückgewiesen. Der Antragsteller habe die Leistungen für Unterkunft und Heizung wissentlich zweckwidrig verwandt, um die Tilgungsraten für sein Eigenheim zu begleichen. Das Begehren des Antragstellers ist Gegenstand der bereits am 07.07.2010 erhobenen Klage, die vor dem Sozialgericht Mainz unter dem Aktenzeichen S 8 AS 955/10 anhängig ist.
Das Amtsgericht Mainz hat den Antragsteller auf Betreiben der … am 29.09.2010 im Wege des Anerkenntnisurteils (Az.: 72 C 106/10) verurteilt,
den ungehinderten Zutritt eines mit einem Ausweis versehenen Beauftragten der … zu den im Anwesen … befindlichen Räumlichkeiten, in dem sich die Messeinrichtungen der … befinden, zu dulden, damit der Beauftragte die Gasversorgung Zähler ... unterbrechen kann,
an die … 3.670,06 € nebst Zinsen in Höhe von 5 % Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz pro Jahr seit dem 09.04.2010 sowie 75,50 € vorgerichtliche Kosten zu bezahl...