Entscheidungsstichwort (Thema)

Gutachtensgrundlage. persönliche Untersuchung. Sachverständiger. Weigerung. Aktenlage

 

Leitsatz (amtlich)

Eine „andere”, einen Kläger von Begutachtungskosten befreiende Entscheidung nach § 109 SGG kann auch bei verfahrensrechtlich unrichtiger Sachbehandlung durch das Gericht geboten sein, z.B. wenn trotz gegebenen Anlasses dem Kläger keine Gelegenheit zur Entschließung darüber gegeben worden ist, ob er seinen Beweisantrag zurücknimmt, oder wenn bereits vor der Entscheidung in der Hauptsache allein vom Kammervorsitzenden – also ohne Mitwirkung beisitzender Richter – ein die Kostenübernahme ablehnender Beschluß erlassen wird.

 

Normenkette

SGG § 109 Abs. 1 S. 2

 

Verfahrensgang

SG Mainz (Beschluss vom 01.03.1984; Aktenzeichen S 3 U 182/82)

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluß des Sozialgerichts Mainz vom 1. März 1984 geändert. Die Kosten für das Gutachten von Prof. Dr. L. und Dr. C. vom 16. Februar 1984 werden der Staatskasse auferlegt.

 

Gründe

Die Klägerin war seit September 1975 bei der Z.-Getriebe GmbH in S. beschäftigt. Zu Beginn der ersten Arbeitsschicht am frühen Montagmorgen des 13. Oktober 1980 rutschte sie auf dem Wege zum Arbeitsplatz nach dem Verlassen des Umkleideraumes auf einer Treppe aus und stürzte auf deren Stufen nieder. Auf der Sanitätsstation des Werkes wurden Hautabschürfungen am linken Ellenbogen mit einem Sprühverband und Prellungen im linken Hüftbereich mit einer Salbe behandelt. Ihr behandelnder Arzt Dr. Z. in F. verordnete entzündungsmildernde Mittel und erklärte sie ab 17. November 1980 für wieder arbeitsfähig. Seit er sie am 28. April 1981 wegen einer Ausschabung und wegen Lumbalgien bei röntgenologisch nachweisbarer Discopathie L 5/S 1 mit linkslateraler Einklemmung erneut arbeitsunfähig krank schrieb, und ihr Arbeitgeber 6 Monate später das Arbeitsverhältnis kündigte, führt die Klägerin wiederkehrende Wirbelsäulenbeschwerden mit schließlicher Bandscheibenoperation im September 1983 auf ihren Treppensturz vom 13. Oktober 1980 zurück. Gegen den Rente ablehnenden Bescheid der Beklagten vom 8. März 1982 erhob sie Klage beim Sozialgericht Mainz: Vor dem Treppensturz habe sie solche Beschwerden nie gehabt; folglich seien diese unfallbedingt. Sie verlange ein medizinisches „Gegengutachten” (contre-expertise). Auf Antrag und mit Kostenvorschuß der Klägerin nach § 109 SGG sollte Gemäß Beweisbeschluß vom 27. Mai 1983 ein auf ambulanter Untersuchung beruhendes Gutachten von Prof. Dr. L. eingeholt werden, Direktor der Neurochirurgischen Universitätsklinik in H. (S.). Dessen Oberarzt Dr. C. teilte am 11. November 1983 auf die vorherige Antrage des Kammervorsitzenden, ob er schon die Klägerin untersucht habe, der Geschäftsstelle telefonisch mit, daß er nach Aktendurchsicht eine erneute Untersuchung für „absolute Zeitverschwendung halte und daher ein (ca. 4 Seiten kurzes) Gutachten nach Aktenlage erstatten werde. Von dem entsprechenden Aktenvermerk nahm ausweislich seines Handzeichens der Kammervorsitzende am 14. November 1983 Kenntnis. Ohne auf die Frage nochmaliger ärztlicher Untersuchung einzugehen, erinnerte er mit Schreiben vom 18. Januar 1984 an die Erledigung. Das neurochirurgische Gutachten nach Aktenlage vom 16. Februar 1984 ist von dem Oberarzt Dr. C. als Verfasser und von dem Klinikdirektor Prof. L. mit dem Vermerk unterzeichnet: „Einverstanden aufgrund eingehender Prüfung und eigener Urteilsbildung”.

Die Klägerin hat die Verwertbarkeit dieses Gutachtens mangels auftragsgemäßer Erstattung geleugnet und verlangt, entweder das Gutachten nicht zu Lasten ihres Kostenvorschusses von 1.000,– DM zu bezahlen oder den Beweisbeschluß in seiner ursprünglichen und noch bestehenden Fassung ausführen zu lassen, also mit ihrer persönlichen Untersuchung durch Klinikdirektor Prof. L. Durch Urteil vom 15. Mai 1984 hat das Sozialgericht Mainz die Klage abgewiesen: Die Wirbelsäulenbeschwerden in der Zeit nach November 1980 seien weder im Sinne der Entstehung noch im Sinne der Verschlimmerung Folgen des Sturzes. Überhaupt nur „allerschwerste” Gewalteinwirkungen auf die Wirbelsäule konnten eine Bandscheibe schädigen. Eine persönliche Untersuchung der Klägerin sei zur Beurteilung der Zusammenhangsfrage nicht erforderlich. Lediglich wenn der Ursachenzusammenhang nach Aktenlage zu bejahen sei, bedürfe es noch zur Feststellung der verbliebenen Folgen einer Untersuchung. Durch Beschluß vom 1. März 1984 hatte der Kammervorsitzende die Übernahme der Begutachtungskosten auf die Staatskasse abgelehnt: Das Gutachten bestätige lediglich die bekannten Befunde und Beurteilungen. Für die Entscheidung des Rechtsstreits durch Urteil sei es nicht erforderlich.

Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer am 30. März 1984 beim Sozialgericht Mainz eingegangenen und dem Landessozialgericht nach dem klageabweisenden Urteil zur dem Entscheidung vorgelegten Beschwerde: Es sei ermessensfehlerhaft, sie mit den Gutachtenskosten zu belasten, obgleich es nicht verwetbar sei, weil der Sachverständ...

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