nicht-rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitnehmer. Heimweg. Fußgänger. Trunkenheit
Leitsatz (amtlich)
1. Der Versicherungsschutz eines Arbeitnehmers auf dem Wege von der Arbeitsstelle zur Wohnung ist ausgeschlossen, wenn er bereits vor Antritt des Heimwegs durch Volltrunkenheit zu einer dem Unternehmen dienenden Arbeit nicht mehr in der Lage gewesen ist oder sich als Fußgänger nicht mehr im Verkehr bewegen konnte.
2. Volltrunkenheit oder Wegeuntüchtigkeit als Fußgänger ist nicht von einem bestimmten Grad der Alkoholkonzentration an nachgewiesen, es bedarf der Würdigung aller Umstände.
Normenkette
RVO § 539 Abs. 1 Nr. 1, §§ 548, 550, 589
Verfahrensgang
SG Mainz (Urteil vom 04.12.1980; Aktenzeichen S 3 U 226/78) |
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Mainz vom 4. Dezember 1980 wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
Kläger sind Witwe und Waisen des 1943 geborenen und im Februar 1978 verstorbenen H. B. (B.). Dieser war bei der Zahnradfabrik F. AG in S. G. beschäftigt, er wohnte in S. G., L. Str. …. Am Freitag, dem 10. Februar 1978, hatte er Spätschicht, die um 13.00 Uhr begann und bis 21.45 Uhr andauerte. B. verließ die Arbeitsstelle kurz vor Schichtende, nachdem er seinen Arbeitsplatz aufgeräumt und sich gewaschen hatte. Ein Arbeitskollege, der ihn beobachtete, hatte den Eindruck, er sei etwas angetrunken. Ein anderer jugoslawischer Mitarbeiter sah ihn unterwegs gegen 22.00 Uhr auf dem Gehweg zwischen R.straße und … mit einer Aktenmappe in Richtung auf seine Wohnung gehend.
Am Samstag, dem … 1978, gegen 14.00 Uhr wurde B. tot in der Rems an der R.straße, etwa 700 m vom Betrieb und 1300 m von seiner Wohnung entfernt aufgefunden. Die Wassertemperatur der Rems betrug 1,5°C, der Wasserstand an der Fundstelle 50 bis 60 cm, die Fließgeschwindigkeit etwa 10 m in 30 Sekunden. Das südliche Ufer der Rems ist von der Straße her frei zugänglich, zwischen Straße und Fluß liegt eine etwa 6 bis 7 m breite Böschung mit einem Neigungswinkel von etwa 45°, die mit Gras und stellenweise mit Bäumen und Büschen bewachsen ist. Die Leiche des B. war ordentlich bekleidet, der Parka war geöffnet, ebenso der Reißverschluß der Hose. An der Leiche wurden lediglich eine leichte Hautabschürfung an der Nase, sonst keine Verletzungen gefunden. Die entnommenen Blutproben ergaben Werte von 2,88 Promille (GC-Verfahren) und 2,34 Promille (ADH-Verfahren). In einem Obduktionsgutachten kamen die Pathologen Dr. S. und Dr. K. zu dem Ergebnis, der Tod sei durch Ertrinken nach Sturz in das Wasser eingetreten. Krankhafte Veränderungen hätten bei B. nicht bestanden. Die Blutalkoholkonzentration sei nicht Todesursache, habe aber mit hoher Wahrscheinlichkeit wesentlich zum Sturz in das Wasser beigetragen.
Mit Bescheid vom 28. August 1978 lehnte die Beklagte die Gewährung von Hinterbliebenenleistungen ab, weil ein Arbeitsunfall nicht vorliege. Die festgestellte Blutalkoholkonzentration habe zum Verlust des Versicherungsschutzes geführt. Der ursächliche Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit sei durch den Zustand der Volltrunkenheit, der vorgelegen habe, gelöst gewesen, so daß der Heimweg nicht unter Versicherungsschutz gestanden habe. Aus welchen Gründen B. in den Fluß gestürzt sei, lasse sich nicht mehr zuverlässig feststellen, ein alkoholbedingtes Fehlverhalten sei anzunehmen.
Der Widerspruch wurde mit Einverständnis der Kläger als Klage dem Gericht zugeleitet. Die Kläger haben vorgetragen, B. könne nicht volltrunken gewesen sein, das Ergebnis der Blutprobe sei möglicherweise durch die Einnahme von Grippemedikamenten verfälscht. Er habe sich am Arbeitsplatz regelrecht verhalten.
Das Sozialgericht Mainz hat durch Urteil vom 4. Dezember 1980 den Bescheid aufgehoben und die Beklagte verurteilt, den Unfall als Wegeunfall anzuerkennen und Hinterbliebenenentschädigung zu gewähren. B. sei auf einem versicherten Wege von der Arbeitsstelle zur Wohnung tödlich verunglückt. Eine Lösung des betrieblichen Zusammenhangs sei wegen der festgestellten Blutalkoholkonzentration nicht anzunehmen. Es sei nicht bewiesen, daß B. derart unter Alkoholeinwirkung gestanden habe, daß er zu keiner dem Unternehmen förderlichen Arbeit mehr fähig gewesen sei oder daß er als Fußgänger nicht mehr in der Lage gewesen sei, sich im öffentlichen Straßenverkehr zu bewegen. Es gebe keine festen Richtwerte für die Annahme einer derartigen Trunkenheit, so daß die Alkoholkonzentration nicht zum Nachweis ausreiche. Der Annahme einer Volltrunkenheit stehe entgegen, daß B. bis Schichtende ordnungsgemäß gearbeitet habe, seinen Arbeitsplatz unauffällig verlassen habe und auch auf dem Heimweg nicht auffällig geworden sei. Alle Umstände sprächen dafür, daß B. in der Dunkelheit auf der feuchten schonesbedeckten steil abfallenden Uferböschung ausgerutscht und dadurch in die Rems geraten sei, vermutlich weil er die Böschung zum Verrichten der Notdurft betreten habe. Der Versicherung...