Entscheidungsstichwort (Thema)

Voraussetzungen eines Anspruchs des Kindes auf Kindergeld an sich selbst bei Auslandsaufenthalt der Eltern

 

Orientierungssatz

1. Ein nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG besitzt, ist nach § 1 Abs. 2 S. 1, Abs. 3 Nrn. 1 und 2 BKGG von Kindergeld für sich selbst ausgeschlossen, wenn er sich zwar seit mehr als drei Jahren im Bundesgebiet aufhält, aber dem Antragsteller der Aufenthalt der Eltern im Ausland bekannt ist.

2. Die eng begrenzte Ausnahmeregelung bei Aufenthalt der Eltern im Ausland gilt nur für einen begrenzten Personenkreis und ist eng auszulegen. Erfasst werden sollen nur Kinder, die mangels Kontakten nicht wissen, wo ihre Eltern sich aufhalten und letztlich nicht wissen können, ob sie noch am Leben sind und jemals die Elternstelle wieder einnehmen können.

3. Der bloße Aufenthalt eines Elternteils im Ausland, verbunden mit dem Unvermögen, dem Kind Unterhalt zu leisten, begründet danach keinen Anspruch des Kindes auf Kindergeld an sich selbst.

4. Die gesetzliche Regelung ist verfassungsgemäß, sie verstößt insbesondere nicht gegen Art. 3 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 GG.

 

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Mainz vom 22.9.2015 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Der Kläger verfolgt im vorliegenden Verfahren einen Anspruch auf Kindergeld für sich selbst.

Der am 1993 geborene Kläger reiste nach eigenen Angaben im Mai oder Juni 2011 nach Deutschland ein und beantragte die Anerkennung als Asylberechtigter. Er gab an, er stamme aus A und gehöre zu den H. Seine Mutter sei nach dem Tod des Vaters Ende der 90er Jahre mit ihm und seinen Geschwistern in den I geflohen. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge lehnte mit Bescheid vom 9.10.2012 seinen Asylantrag sowie die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft ab, stellte aber ein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs 7 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) hinsichtlich A fest. Dem Kläger wurde eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs 3 AufenthG erteilt, die regelmäßig verlängert wurde. Am 4.8.2014 begann er eine Berufsausbildung zum KfZ-Mechatroniker und beantragte Leistungen nach dem SGB II. Da weder ein Anspruch auf Berufsausbildungsbeihilfe noch auf einen Zuschuss zu den Unterkunftskosten nach § 27 Abs 3 SGB II bestand, erhielt der Kläger zunächst Leistungen nach dem SGB XII. Einer Aufforderung des Jobcenters folgend beantragte er am 7.8.2014 Kindergeld. Er gab an, seine Mutter lebe als Flüchtling in großer Unsicherheit und Armut im I. Sie und seine Geschwister hätten dort kein Aufenthaltsrecht. Die Anschrift seiner Mutter kenne er nicht, weil sie oft umziehen müsse. Ab und zu telefoniere er kurz mit seiner Mutter.

Die Beklagte lehnte die Gewährung von Kindergeld mit Bescheid vom 20.11.2014 und Widerspruchsbescheid vom 12.1.2015 ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, nach § 1 Abs 2 des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) sei Voraussetzung für den geltend gemachten Anspruch, dass der Aufenthalt der Eltern unbekannt sei. Dem Kläger sei der Aufenthalt seiner Mutter bekannt, da er sporadisch telefonischen Kontakt zu ihr habe.

Am 28.1.2015 hat der Kläger beim Sozialgericht (SG) Mainz Klage erhoben und vorgetragen, seine Mutter habe nach wie vor keine feste Adresse im I und sei dort nicht angemeldet. Es könne keine Rede davon sein, dass ihm der Aufenthalt seiner Mutter bekannt sei. Telefonische Kontaktaufnahmen mit der Mutter seien nur sporadisch und jeweils sehr kurz möglich, um sich gegenseitig mitzuteilen, dass man noch lebe und wie es den anderen Familienmitgliedern gehe.

Auf Anfrage des SG hat die Kreisverwaltung A bestätigt, dass der Kläger sich seit dem 2.8.2011 ununterbrochen rechtmäßig in Deutschland aufhält und eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs 3 AufenthG hat. Seit dem 1.8.2015 erhält der Kläger Berufsausbildungsbeihilfe nach §§ 56 ff SGB III und einen Zuschuss zu den Kosten der Unterkunft nach § 27 Abs 3 SGB II.

Das SG hat durch Urteil vom 22.9.2015 die Beklagte zur Zahlung von Kindergeld seit August 2014 verurteilt und zur Begründung ausgeführt, der Kläger habe einen Anspruch auf Kindergeld nach § 1 Abs 2 S 1 BKGG. Seine Eltern seien nicht (unbeschränkt) steuerpflichtig in Deutschland, er habe hier seinen Wohnsitz und sei nicht bei einer anderen Person als Kind zu berücksichtigen. Als nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer besitze er eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs 3 AufenthG und habe sich im August 2014 seit 3 Jahren rechtmäßig im Inland aufgehalten. Er kenne zudem den Aufenthalt seiner Mutter als verbliebenen Elternteil nicht. Der Begriff des Aufenthalts nach § 1 Abs 2 S 1 Nr 2 BKGG sei nicht mit dem des gewöhnlichen Aufenthalts nach § 30 Abs 3 S 2 SGB I identisch. Nach dem Wortlaut des § 1 Abs 2 S 1 Nr 2 BKGG müsse das Kind jederzeit den tatsächlichen Aufenthalt der Eltern bzw des lebenden Elternteils kennen. Der Anwendungsbereich des Gesetzes se...

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