Entscheidungsstichwort (Thema)
Schwerbehindertenrecht. Störung der Orientierungsfähigkeit ohne wesentliche Einschränkung der Gehfähigkeit. Nachteilsausgleich G bzw B. Beurteilungsmaßstab
Leitsatz (amtlich)
1. Auch eine "Störung der Orientierungsfähigkeit" kann das Vorliegen der gesundheitlichen Merkmale des Nachteilsausgleiches G begründen (§ 60 Abs 1 SchwbG), auch wenn eine wesentliche Einschränkung der Gehfähigkeit nicht vorliegt. Wenn ein Schwerbehinderter, der in seiner Orientierungsfähigkeit gestört ist, sich in einer ihm vertrauten Umgebung und damit möglicherweise auch an seinem Wohnort zurechtfindet und dort sogar in der Natur spazieren geht, wird dadurch das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen des Nachteilsausgleiches G nicht ausgeschlossen, da nicht auf die Verhältnisse am Wohnort des Behinderten abzustellen ist.
2. Ein Schwerbehinderter, der in seiner Orientierungsfähigkeit gestört ist, ist bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel infolge seiner Behinderung zur Vermeidung von Gefahren für sich regelmäßig nicht auf fremde Hilfe angewiesen (§ 60 Abs 2 SchwbG). Anders als beim Nachteilsausgleich G, der ihm wegen der fehlenden allgemeinen Orientierungsmöglichkeit zustehen kann, ist beim Nachteilsausgleich B hinsichtlich der Gefahren, die ihm deshalb drohen, nicht auf ein allgemeines und abstraktes Maß an Gefahr abzustellen. Gefordert ist ein Zustand, welcher die ständige Begleitung erforderlich macht und ähnlich gravierend ist wie zB die bei Querschnittsgelähmten, Ohnhändern, Blinden bestehende Gefährdung. Hieran fehlt es, wenn der Behinderte durch die Orientierungsstörungen nur an der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel ohne Begleitung außerhalb seiner gewohnten Umgebung, zB seiner Heimatstadt, gehindert ist, in seiner gewohnten Umgebung dagegen keinen Gefahren unterworfen ist.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen der Nachteilsausgleiche "G" und "B" nach dem Schwerbehindertengesetz (SchwbG).
Der 1972 geborene Kläger erlitt im Dezember 1989 einen schweren Verkehrsunfall. Mit Bescheid vom 15.10.1990 stellte das Versorgungsamt Koblenz als Behinderungen mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 100 "spastische Halbseitenschwäche rechts und Hirnleistungseinschränkung nach Schädel-Hirntrauma" fest. Zugleich wurden die gesundheitlichen Voraussetzungen der Nachteilsausgleiche "H" (hilflos), "G" (erheblich beeinträchtigt in der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr) und "B" (auf ständige Begleitung bei Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel angewiesen) festgestellt.
Im Juli 1991 leitete das Versorgungsamt ein Überprüfungsverfahren von Amts wegen ein und holte hierzu einen Befundbericht des Internisten Dr. B ein, der weitere Befundunterlagen vorlegte. Gestützt auf eine gutachterliche Stellungnahme des Dr. M teilte das Versorgungsamt mit, es beabsichtige, den GdB auf 90 herabzusetzen und die Nachteilsausgleiche "G", "B" und "H" zu entziehen.
Mit Bescheid vom 22.05.1992 bezeichnete das Versorgungsamt Koblenz die Behinderungen des Klägers neu als:
1. Armbetonte Halbseitenschwäche rechts, psychoorganisches Syndrom,
2. Streckbehinderung rechtes Ellenbogengelenk.
Zugleich wurde festgestellt, daß der GdB nunmehr 90 betrage und daß die gesundheitlichen Voraussetzungen zur Inanspruchnahme der Nachteilsausgleiche "G", "B" und "H" nicht mehr vorlägen. Zur Begründung wurde ausgeführt, in der Behinderung Nr. 1 sei eine wesentliche Änderung im Sinne der Besserung eingetreten.
Im Widerspruchsverfahren ließ das Versorgungsamt den Kläger durch den Arzt für Neurologie und Psychiatrie Lutz M, Bundeswehrzentralkrankenhaus K, begutachten. Der Gutachter kam zu dem Ergebnis, bei Zustand nach schwerem Schädel-Hirntrauma liege beim Kläger noch eine armbetonte Hemispastik rechts und ein hirnorganisches Psychosyndrom sowie eine Artikulationsschwäche vor. Diese seien mit einem GdB von 70 zu bewerten. Die Voraussetzungen der Nachteilsausgleiche "G", "B" und "H" lägen nicht mehr vor.
Nach Anhörung des Klägers bezeichnete das Versorgungsamt die Behinderungen des Klägers mit Bescheid vom 04.10.1993 neu als "Hirnbeschädigung bei Zustand nach SHT mit Leistungsbeeinträchtigung (armbetonte spastische Hemiparese rechts, hirnorganisches Psychosyndrom) und setzte den GdB auf 70 herab. Auch hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein. Nach Einholung einer weiteren gutachterlichen Stellungnahme wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 25.03.1994 den Widerspruch hinsichtlich der Nachteilsausgleiche "G", "B" und "H" zurück, stellte den GdB rückwirkend ab 1993 wiederum mit 90 fest und bezeichnete die Behinderungen nunmehr als:
"Hirnbeschädigung nach Schädel-Hirntrauma, armbetonte spastische Hemiparese rechts, hirnorganisches Psychosyndrom, Residualepilepsie."
Im Klageverfahren hat das Sozialgericht Koblenz Beweis erhoben durch Einholung von Befundberichten des Rehabilitationskrankenhauses Jugendwerk Gailingen, des Augenarztes H sowie durch Einholung eines Gutachtens des Dr....