nicht rechtskräftig

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Mindesteinkommen. Quittungskarten. Versicherungskarten. Beitragsmarken. Versicherungsfreiheit. freier Unterhalt

 

Leitsatz (amtlich)

Wo es an formalisierenden und typisierenden Beweisvorschriften fehlt, z.B. an gesetzlichen Vermutungen und anderen Beweisregeln, kommt die freie Beweiswürdigung auch bei der Ermittlung des Rechtsgrundes von Rentenversicherungsbeiträgen zum Zuge, namentlich wenn es darum geht, ob früher Versicherungspflicht oder nur Versicherungsberechtigung bestand.

 

Normenkette

RVO § 1223 Abs. 25, §§ 1, 1422, 1423 Abs. 1-2; ArVNG Art. 2 § 55a Abs. 1

 

Verfahrensgang

SG Speyer (Urteil vom 15.01.1975; Aktenzeichen S 7 J 865/73)

 

Tenor

1. Das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 15. Januar 1975 sowie der Bescheid vom 21. September 1973 werden geändert und die Beklagte verurteilt, die Erwerbsunfähigkeitsrente der Klägerin mit Wirkung ab 1. März 1973 als Rente nach Mindesteinkommen gemäß Artikel 2 § 55 a Abs. 1 ArVNG neu festzustellen und dabei zusätzlich 20 Versicherungsmonate, die in der Zeit von November 1954 bis einschließlich Dezember 1957 durch Markenbeiträge belegt sind, als Pflichtversicherungsmonate zu werten.

2. Die Beklagte hat die der Klägerin in beiden Rechtszügen entstandenen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin schon jetzt mindestens 25 anrechenbare Versicherungsjahre für eine Mindestrente nach Artikel 2 § 55 a ArVNG zurückgelegt hat oder ob ihr die Beklagte zuvor die Nachentrichtung von Pflichtbeiträgen für drei Jahre und zwei Monate gestatten muß.

Die am … 1914 geborene Klägerin war ab 1931 als Fabrikarbeiterin pflichtversichert und ab 1941, während sie in der Landwirtschaft ihres Vaters in H./Schwarzwald mitarbeitete, freiwillig versichert. Im November 1954 übersiedelte sie nach S. und nahm im dortigen Lebensmittelgeschäft ihrer Schwester A. H. Arbeit als Verkäuferin auf. Ihre vom Bürgermeisteramt H. stammende Quittungskarte Nr. 15 ist am 28. Dezember 1955 beim Versicherungsamt der Stadt S. aufgerechnet worden, und zwar mit je 26 Wochenbeiträgen für die Jahre 1954 und 1955. Die gleichzeitig ausgestellte Quittungskarte Nr. 16 enthält ebenfalls 26 Wochenbeitragsmarken für das Jahr 1956 und sieben Monatsbeitragsmarken für das Jahr 1957 mit Entwertungsdaten jeweils am letzten Tag der Monate von Juni bis Dezember. Für die Jahre von 1958 bis 1972 enthalten die folgenden Versicherungskarten die üblichen Arbeitgeber-Entgeltbescheinigungen.

Die Klägerin hatte in ihrem Leben viel unter Magenblutungen zu leiden. Nach erneuter Krankschreibung und stationärer Behandlung beantragte sie am 27. April 1973 Rente wegen Erwerbs- oder Berufsunfähigkeit. Der Internist Dr. M. vom Ärztlichen Gutachterdienst der Beklagten in S. berichtete am 22. August 1973 der Beklagten: Abgesehen von Herzmuskeldegeneration und Untergewicht (42,9 kg bei einer Größe von 152,5 cm) liege eine ungewöhnlich ausgeprägte Neigung zu Magenblutungen bei Magengeschwürsleiden vor. Eine durchgreifende Besserung sei nicht zu erwarten. Eine regelmäßige Erwerbstätigkeit sei ärztlicherseits nicht mehr zu vertreten. Durch Bescheid vom 21. September 1973 bewilligte die Beklagte der Klägerin ab März 1973 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit in damaliger Höhe von 263,– DM monatlich. Dieser Rente legte die Beklagte einen Versicherungsverlauf mit 408 Beitragsmonaten zugrunde (kaum irgendwelche Ersatzzeiten), darunter die Beiträge von 1941 bis einschließlich Dezember 1957 als freiwillige mit insgesamt 547 Wochen (= 127 Monaten).

Der Prozeßbevollmächtigte und Bruder der Klägerin hatte in der Vorstellung, seiner Schwester fehlten für die neue „Mindestrente” nach Artikel 2 § 55 a ArVNG rund drei Jahre an den mindestens 25 „anrechnungsfähigen Versicherungsjahren ohne Zeiten der freiwilligen Versicherung und Ausfallzeiten”, schon vor dem Rentenbescheid (mit Schreiben vom 28. August 1973) zusätzlich beantragt, ihr die Nachentrichtung von Pflichtbeiträgen für den Zeitraum vom 1. November 1954 bis 31. Dezember 1957 zu gestatten. Er meinte, es bedeute für seine Schwester eine besondere Härte im Sinne des § 1418 Abs. 3 Reichsversicherungsordnung (RVO), wenn sie trotz 34,5 rentensteigernd angerechneter Jahre nur eine Monatsrente von 263,– DM bekomme.

Durch Bescheid vom 17. Januar 1974 lehnte die Beklagte den Antrag auf Zulassung der Beitragsnachentrichtung mit folgender Begründung ab: Ein Fall besonderer Härte in analoger Anwendung der Nachversicherungs-Härte-Verordnung vom 28. Juli 1959 – BGBl. I S. 550 – liege nicht vor, weil nicht mindestens fünf Jahre einer unversichert gebliebenen Beschäftigung nachträglich mit Beiträgen belegt werden sollen oder nicht wenigstens die Wartezeit für die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit nachträglich erfüllt werden soll. Sollte aber doch ein Fall besonderer Härte vorliegen, könne die Nachentrichtung nicht zugelassen werden, weil die Antragstellerin bei Beachtung der gebotenen Sorgfalt „das Unterlassen der Pflichtbeitragsentricht...

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