Entscheidungsstichwort (Thema)
Geschäftsführer. Arbeitseinteilung. Freiheit. Unterrichtung. Mitarbeiter. Betriebsweg. Unfall. Tod
Leitsatz (amtlich)
Stärker als ein Beweisnotstand (Nichtbeweisenkönnen) behindert ein Darlegungsnotstand (Nichtwissen) die Feststellung bestimmter Tatsachen. Es kann keine Beweisregel in der Form einer Vermutung aufgestellt werden, daß erfahrungsgemäß kaufmännische Führungskräfte, die über ihre Arbeitszeit frei disponieren können, stets oder meistens zu geschäftlichen Zwecken unterwegs seien, wenn sie mit dem Auto wegfahren.
Normenkette
RVO §§ 548, 589-590, 595; SGG §§ 103, 106, 128
Verfahrensgang
SG Mainz (Urteil vom 03.02.1981; Aktenzeichen S 2 U 54/80) |
Tenor
1. Die Berufungen gegen das Urteil des Sozialgerichts Speyer von 3. Februar 1981 werden zurückgewiesen.
2. Auch im Berufungsverfahren sind außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Kläger verlangen Hinterbliebenenrente nach ihrem Ehemann bzw. Vater.
Der am … 1923 in L. geborene H. L. K. (Versicherter) und die 1933 geborene Klägerin zu 1) waren seit 1956 miteinander verheiratet. Die Kläger zu 2) bis 4) sind ihre Kinder, nämlich die am … 1957 geborene Tochter A., die am … 1958 geborene Tochter M. und der am … 1966 geborene Sohn T.. Die beiden Töchter studieren, der Sohn geht noch zur Schule.
Der Versicherte war seit mindestens 30 Jahren, d.h. seit ihrer Gründung nach dem Ende des letzten Weltkrieges, für die T. L.-Werk in L./P. erwerbstätig, zuletzt als einer ihrer Geschäftsführer, der für die technische Leitung und für den Verkauf zuständig war (außerdem seit Jahren am Geschäftskapital beteiligt). Am Montag des … 1979 gegen 16.45 Uhr fuhr er, ohne seinen Mantel mitzunehmen, vom Betriebsgelände mit seinem BMW-Personenkraftwagen … weg. Knapp eine halbe Stunde später wurde er auf der Bundesstraße … bei km 2,270 schwer verletzt aufgefunden. Er war über den Rhein nach Baden-Württemberg in Richtung Bruchsal/Landkreis Karlsruhe gefahren und an seiner rechten Fahrbahnseite gegen den Brückenaufbau der Straßenüberführung H./N. geprallt. Wie es zu dem Aufprall gekommen war, hat nicht ermittelt werden können. Alkohol kann keine Rolle gespielt haben; die Blutprobe war negativ (0 %). Dem Hausarzt des Versicherten berichteten am 11. Mai 1979 der Erste Oberarzt Dr. H. und der Assistenzarzt Dr. D. von der Chirurgischen Abteilung des Krankenhauses B.: Rippenserienfrakturen beiderseits, Lungenkontusion, Mediastinalemphysem, Hautemphysem, Commotio cerebri und Verdacht auf Schädelfraktur hätten bis zum 5. Tage nicht an einer Besserung des Allgemeinzustandes gehindert. Dann sei es zu einer rasch zunehmenden respiratorischen Insuffizienz und schließlich völliger Respiratorabhängigkeit gekommen. Bei vorausgegangener Kontusion sei im Bereich der rechten Lungenhälfte eine Pneumonie entstanden. Am … 1979 gegen 3.00 Uhr früh sei der Patient an den Unfallfolgen gestorben.
Der Hauptgesellschafter und Seniorchef L. meldete der Beklagten den Verkehrsunfall als Arbeitsunfall. Er war und ist überzeugt, daß der Versicherte geschäftlich unterwegs war, obgleich er trotz Durchsicht von Aktenunterlagen und Befragungen im Betriebe nicht den aktuellen Grund für die Fahrt in Richtung Bruchsal hat ermitteln können. Die Beklagte dehnte die Befragungen u.a. aus auf Kunden des L.-Werks, auf den Abschleppunternehmer und auf zwei Brüder des Verstorbenen, die unter einem Sitz des total geschädigten Wagens eine Aktentasche gefunden und der Klägerin übergeben hatten. Durch gleichlautende Bescheide vom 24. Januar 1980 lehnte die Beklagte Entschädigungen aus Anlaß des Verkehrsunfalles ab: Trotz Ausschöpfung aller Ermittlungsmöglichkeiten sei nicht feststellbar, ob der Versicherte aus betriebsbedingten Gründen in Richtung Bruchsal unterwegs gewesen sei.
Mit ihren am 21. Februar 1980 beim Sozialgericht Speyer eingegangenen Klagen haben die Kläger vorgebracht: Der Versicherte könne sich nur auf einer Dienstfahrt befunden haben. Es sei in 20 Jahren nicht vorgekommen, daß er schon um 17.00 Uhr privat unterwegs gewesen sei. Er habe nie vor 19.00 Uhr mit der Arbeit aufgehört. Er habe Tausende von dienstlichen Fahrten unternommen, ohne bei Kursreisen jemanden im Betrieb oder gar seine Familie vom Fahrtziel zu unterrichten. Es sei nicht zu sehen, warum er sich gerade an dem Unglückstage hätte anders verhalten sollen. Wegen der künstlichen Beatmung habe er nicht mehr sprechen und über Grund und Ziel der letzten Fahrt Aufschluß geben können. Durch Urteil vom 3. Februar 1981 hat das Sozialgericht Speyer die Klage abgewiesen: Die Ansprüche auf Hinterbliebenenleistungen seien nicht begründet, weil nicht festgestellt werden könne, daß der tödliche Autounfall ein Arbeitsunfall gewesen sei. Ein Wegeunfall im engeren Sinne, nämlich auf der Strecke zwischen Arbeitsstätte und Wohnung, habe mit Sicherheit nicht vorgelegen. Um zu seiner Wohnung in L. zu gelangen, hätte der Versicherte in westlicher statt in östlicher Richtung fahren müssen. Aber auch ein Betriebswegeunfall könne nicht über...