nicht-rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Mutterschaftsurlaub. Mutterschaftsgeld. unechte Rückwirkung. Vertrauensschutz
Leitsatz (amtlich)
Der Vertrauensschaden, der aufgrund des mit der Kürzung des Höchstsatzes des Mutterschaftsurlaubsgeldes verbundenen Einkommensverlustes eingetreten ist, erscheint so gering, daß die durch das Haushaltsbegleitgesetz 1984 ohne Übergangsregelung vorgenommene Gesetzesänderung nicht als verfassungswidrig angesehen werden kann.
Normenkette
RVO § 200 Abs. 4 Sätze 1, 3; MuSchG § 8a
Verfahrensgang
SG Mainz (Urteil vom 10.09.1984; Aktenzeichen S 2 K 44/84) |
Tenor
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Mainz vom 10. September 1984 wird zurückgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die bei der Beklagten gegen Krankheit versicherte Klägerin wurde am 16. September 1983 von Zwillingen entbunden. Für die Dauer der Schutzfristen erhielt sie Mutterschaftsgeld in Höhe von 25,– DM täglich. Diesen Höchstbetrag zahlte ihr die Beklagte antragsgemäß auch als Mutterschaftsurlaubsgeld ab 10. Dezember 1983 weiter.
Mit Schreiben vom 30. Dezember 1983 teilte die Beklagte der Klägerin mit, daß das Mutterschaftsgeld für alle Frauen, die nach dem 1. Juli 1983 entbunden und Mutterschaftsurlaub in Anspruch genommen hätten, ab 1. Januar 1984 nur noch höchstens 17,– DM je Kalendertag betrage. Dieser Entscheidung widersprach die Klägerin mit der Behauptung, die Kürzung sei zu Unrecht erfolgt; Entbindungen vor dem 1. Januar 1984 würden von der Gesetzesänderung nicht erfaßt; jede andere Interpretation verstoße gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot; bei der Frage der Rückwirkung sei auf den Zeugungstermin abzustellen. Der Widerspruchsausschuß der Beklagten wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 16. April 1984 mit der Begründung zurück, die Gesetzesänderung sei mit Wirkung vom 1. Januar 1984 in Kraft getreten, ohne daß eine Übergangsregelung hinsichtlich des Zahlbetrags des Mutterschaftsurlaubsgeldes vorgesehen sei.
Mit ihrer Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt und vorgetragen: Die neuen gesetzlichen Bestimmungen seien verfassungskonform dahingehend auszulegen, daß bereits in Mutterschutzurlaub befindliche Anspruchsberechtigte das Mutterschaftsgeld in bisheriger Höhe weitererhielten. Andernfalls liege mangels Übergangsregelung eine echte Rückwirkung vor. Aber auch bei Annahme einer unechten Rückwirkung erfordere das Rechtsstaatsprinzip, einen Nachteil durch unvorhergesehene Gesetzesänderung, wie er sich jetzt für sie ergebe, zu vermeiden. Durch einen Eingriff, mit dem der Staatsbürger bei seinen Dispositionen nicht habe rechnen müssen, werde der Vertrauensgrundsatz verletzt, dem das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) im Bereich des Sozialversicherungsrechts ein ganz besonderes Gewicht beimesse. Sie und ihr Ehemann hätten im Vertrauen auf die Versprechungen und finanziellen Anreize des Gesetzgebers Kinder gezeugt; jedenfalls würden sie bei Kenntnis der Kürzung des Mutterschaftsurlaubsgeldes ihre Entscheidung für ein zweites Kind hinausgeschoben haben. Abgesehen davon seien erhebliche Zweifel an der Notwendigkeit der Kürzung des Mutterschaftsurlaubsgeldes zur Sanierung der Haushaltsfinanzen angezeigt.
Durch Urteil vom 10. September 1984 hat das Sozialgericht (SG) Mainz die Klage abgewiesen. Es hat sich auf den Standpunkt gestellt, die Klägerin falle unter die ab 1. Januar 1984 geltende Neuregelung des Mutterschaftsurlaubsgeldes; es liege ein vertretbarer Eingriff in laufende Leistungsfälle vor, so daß die privaten Interessen der Klägerin gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Sanierung der Haushaltsfinanzen zurückzutreten hatten; verfassungsrechtliche Bedenken bestünden nicht; die Klägerin könne billigerweise keine Rücksichtnahme auf ihr Vertrauen verlangen.
Gegen das ihr am 24. September 1984 zugestellte Urteil hat die Klägerin mit Eingang beim Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz in Mainz am 24. Oktober 1984 Berufung eingelegt.
Sie wiederholt ihr früheres Vorbringen und stellt klar, daß sie sich nicht gegen die Änderung des Mutterschaftsurlaubsgeldes als solche wende, sondern dagegen, daß der Gesetzgeber diese völlig überraschend von einem Tag auf den anderen vorgenommen habe.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des SG Mainz vom 10. September 1984 sowie den Bescheid der Beklagten vom 30. Dezember 1983 in der Gestalt das Widerspruchsbescheids vom 16. April 1984 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr für die Zeit vom 1. Januar bis 15. März 1984 Mutterschaftsgeld in Höhe von 25,– DM abzüglich gezahlter 17,– DM täglich nebst 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtenen Entscheidungen für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- und Beklagtenakten verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.
Entscheidungsgründe
Die gemäß §§ 143, 150 Nr. 1 und 151 Abs. 1 Sozi...