Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Neuregelungen der Zuzahlungspflicht ab 1.1.2004 verstoßen nicht gegen Verfassungsrecht
Orientierungssatz
Die Änderung bzw die Ablösung des § 61 SGB 5 aF durch die §§ 61, 62 SGB 5 nF ist nicht verfassungswidrig. Insbesondere ist ein Verstoß gegen die in den Art 1 bis 3 GG statuierten Grundrechte sowie gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit durch die Neuregelungen nicht festzustellen.
Nachgehend
Tenor
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Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Mainz vom 24.11.2005 wird zurückgewiesen. |
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Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. |
3. |
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Die Revision wird nicht zugelassen. |
Tatbestand
Streitig ist die Aufhebung der Befreiung von der Zuzahlungspflicht für die Zeit ab dem 1.1.2004.
Der Kläger ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Er ist seit längerer Zeit arbeitslos und bezog bis zum 31.12.2004 Leistungen von der Bundesagentur für Arbeit. Die Beklagte befreite den Kläger mit Bescheid vom 28.9.2000 (Befreiungsbescheid) wegen Vorliegens eines Härtefalles bis auf weiteres von der Zuzahlungspflicht gemäß § 61 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - SGB V - (in der ab dem 1.1.2000 geltenden Fassung des Gesetzes vom 22.12.1999, BGBl. I Seite 2626; = SGB a. F.). Die Beklagte erteilte dem Kläger einen entsprechenden Befreiungsausweis.
Mit Bescheid vom 16.12.2003 hob die Beklagte mit Wirkung zum 1.1.2004 den Befreiungsbescheid auf und berief sich dazu auf § 48 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X). Zur Begründung führte die Beklagte u. a. aus, dass durch das Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (vom 14.11.2003 - GMG -, BGBl. I Seite 2190) die gesetzlichen Voraussetzungen für die Befreiung und für die Übernahme von Fahrkosten entfallen seien. Eine andere Entscheidung sei auch unter Berücksichtigung von Einwänden nicht möglich. Nach den ab dem 1.1.2004 geltenden Vorschriften seien maximal 2 v. H. der Gesamtbruttoeinnahmen des Familienhaushaltes jährlich an gesetzlichen Zuzahlungen zu entrichten. Bei schwerwiegenden chronischen Erkrankungen verringere sich die individuelle Belastungsgrenze auf 1 v. H. der Bruttoeinnahmen. Sobald mit den gesetzlichen Zuzahlungen im Jahre 2004 die Belastungsgrenze erreicht werde, werde eine Befreiung für den Rest des Jahres geprüft. Gegen diesen Bescheid legte der Kläger mit Schreiben vom 7.1.2004 Widerspruch ein und führte u. a. aus, dass er Arbeitslosenhilfe (Alhi) beziehe und durch eine Zuzahlung unzumutbar belastet werde. Mit Widerspruchsbescheid vom 18.2.2004 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück.
Der Kläger hat am 16.3.2004 Klage beim Sozialgericht (SG) Mainz erhoben. Zur Begründung hat er sich u. a. darauf berufen, dass er zwischenzeitlich Empfänger von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) sei und durch die Zuzahlungen unzumutbar belastet sei. Die Regelleistung nach § 20 Abs. 2 SGB II decke diesen Bedarf nicht ab. Diese Regelung sei verfassungswidrig; sie verstoße gegen die Vorschriften der Art. 1 bis 3 des Grundgesetzes (GG). Die Möglichkeit eines menschwürdigen Daseins sei nicht mehr gegeben.
Mit Urteil vom 24.11.2005 hat das SG die Klage abgewiesen und die Berufung zugelassen. Das SG hat seine Entscheidung u. a. damit begründet, dass die Beklagte den Befreiungsbescheid gem. § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X auf Grund der zum 1.1.2004 erfolgten Neufassung der §§ 61, 62 SGB V zu Recht aufgehoben habe. Seit dem 1.1.2004 hätten Versicherte nach § 62 Abs. 1 SGB V (in der Fassung des GMG, a.a.O., = SGB V n. F.) jedes Jahr Zuzahlungen bis zur Belastungsgrenze zu leisten. Zweck der Vorschrift sei ein Schutz der Versicherten vor Überforderung einerseits, andererseits aber auch die zumutbare Belastung mit einem finanziellen Eigenanteil; es solle so ein gewisser Steuerungseffekt erzielt werden. Eine Verfassungswidrigkeit des § 62 SGB V n. F. sei nicht gegeben. Der Gesetzgeber habe innerhalb des ihm zustehenden Gestaltungsspielraums die Möglichkeit, die Eigenverantwortung der Versicherten zu stärken und sie zu Selbstbeteiligungen heranzuziehen. Zwar habe in bestimmten Härtefällen das Solidarprinzip gegenüber der Eigenverantwortung den Vorrang, allerdings müsse der Gesetzgeber nicht alle Härten ausgleichen. Der Gesetzgeber habe zwar die vollständige Befreiung von der Zuzahlung zu Gunsten einer generellen Zuzahlung abgeschafft, habe allerdings eine individuelle Belastungsgrenze vorgesehen. Diese sei für Bezieher von Leistungen nach dem SGB II modifiziert worden (vgl. § 62 Abs. 2 Satz 5 und 6 SGB V, eingeführt mit Wirkung zum 6.8.2004 durch Gesetz vom 30.7.2004, BGBl. I Seite 2014). Dadurch sei dem Solidarprinzip ausreichend Rechnung getragen. Die Frage der Höhe der Regelleistungen nach dem SGB II sei nicht Gegenstand des Verfahrens. Unter Berücksichtigung der Einkünfte des Klägers aus den Regelleistungen errechne sich eine jährliche Zuzahlung i.H.v. 82,80 € bzw. i.H.v. 41,4...