Entscheidungsstichwort (Thema)

Berufskrankheit. haftungsausfüllende Kausalität. Beweiserleichterung. Anscheinsbeweis

 

Leitsatz (amtlich)

1. Gegen den Ursachenzusammenhang zwischen beruflichen Einwirkungen im Sinne der Berufskrankheit 2108 der Anl 1 zur BKVO und einer Erkrankung der Lendenwirbelsäule sprechen ein altersentsprechendes Krankheitsbild und das gleichzeitige Vorliegen gleichartig ausgeprägter Veränderungen an den übrigen Teilen der Wirbelsäule.

2. Bei § 9 Abs 3 SGB 7 handelt es sich um eine Kodifizierung des Anscheinsbeweises für den dort geregelten Bereich.

3. § 9 Abs 3 SGB 7 ist nur anwendbar, wenn die Berufskrankheit in der Anl 1 zur BKVO so genau definiert ist, daß nach medizinischen Erkenntnissen bei Vorliegen der Tatbestandsmerkmale im Regelfall ein wahrscheinlicher Ursachenzusammenhang gegeben ist.

 

Orientierungssatz

1. Zur Anwendbarkeit des § 9 Abs 3 SGB 7 auf Versicherungsfälle, die vor Inkrafttreten des SGB 7 (1.1.1997) eingetreten sind.

2. Zur Auslegung des Tatbestandsmerkmals "in erhöhtem Maße" in § 9 Abs 3 SGB 7.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob bei dem Kläger Erkrankungen der Wirbelsäule bestehen, die als Berufskrankheiten (BKen) anzuerkennen und zu entschädigen sind.

Der 1938 geborene Kläger war nach 1952 begonnener und erfolgreich abgeschlossener Maurerlehre bis 1963 als Maurer- und Gipsergeselle beschäftigt. Nach Ablegung der Meisterprüfung war er ab 1963 bis Dezember 1992 selbständig als Gipser und Maurer tätig. Im Betrieb des Klägers waren jeweils drei bis sechs Mitarbeiter beschäftigt. Der Kläger selbst arbeitete handwerklich mit.

Im Oktober 1993 erstattete der Kläger eine BK-Anzeige und führte hierbei aus, bei ihm lägen Beschwerden im Rücken, an den Armen, an den Schultern und an den Beinen vor, die er auf berufliche Einwirkungen zurückführe. Im gleichen Monat verfaßte der Orthopäde Dr. G eine ärztliche BK-Anzeige.

Die Beklagte holte eine Stellungnahme ihres Technischen Aufsichtsdienstes (TAD) zur beruflichen Belastung des Klägers im Sinne der Nrn 2108 und 2109 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKVO) ein. Sie veranlaßte außerdem eine Begutachtung durch Prof. Dr. W (mit Dr. H) von der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik L. Dieser führte im Gutachten vom März 1994 aus: Die arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK Nr 2108 seien erfüllt. Die beruflichen Voraussetzungen zur Anerkennung einer BK Nr 2109 lägen hingegen nicht vor, weil das Tragen schwerer Lasten auf der Schulter nur in etwa 5 % der Zeit der üblichen Arbeitsschichten erfolgt sei. Ein Zusammenhang der bandscheibenbedingten Veränderungen im Bereich der Lendenwirbelsäule (LWS) mit den beruflichen Einwirkungen sei unwahrscheinlich, weil krankhafte Veränderungen auch an den übrigen Teilen der Wirbelsäule vorhanden seien.

Der von der Beklagten hinzugezogene Staatliche Gewerbearzt Dr. N bejahte demgegenüber in seinem Gutachten vom Juni 1994 eine BK nach Nr 2108 und veranschlagte die hierdurch bedingte MdE mit 20 vH.

Mit Bescheid vom 17.8.1994 lehnte die Beklagte die Anerkennung und Entschädigung der beim Kläger bestehenden Wirbelsäulenbeschwerden als BKen ab und stützte sich hierbei im wesentlichen auf das Gutachten von Prof. Dr. W. Mit Widerspruchsbescheid vom 21.2.1995 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück.

Das Sozialgericht hat im Klageverfahren von Amts wegen ein Gutachten des Orthopäden Dr. P aus M vom Januar 1996 eingeholt. Dieser hat sich im wesentlichen der Auffassung von Prof. Dr. W angeschlossen. Zu dem gleichen Ergebnis ist die Orthopädin Dr. H aus L in einem nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) veranlaßten Gutachten gelangt.

Mit am 9.9.1996 verkündetem Urteil hat das Sozialgericht daraufhin die Klage als unbegründet abgewiesen und sich hierzu im wesentlichen auf das Gutachten von Dr. P gestützt.

Gegen das ihm am 16.12.1996 zugestellte Urteil hat der Kläger am 15.1.1997 Berufung eingelegt.

Der Kläger trägt vor: Er sei nach wie vor der Überzeugung, daß sein Wirbelsäulenleiden durch seine erheblichen Belastungen bei seiner Arbeit entstanden sei. Nicht nur in bezug auf die BK Nr 2108, sondern auch hinsichtlich der BK 2109 seien die arbeitstechnischen Voraussetzungen erfüllt. Es werde die Einholung eines weiteren Gutachtens von Amts wegen für erforderlich gehalten. Zu seinen Gunsten müsse die Vorschrift des § 9 Abs 3 des 7. Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB VII) Anwendung finden. Dadurch sei eine Beweislastumkehr eingetreten.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Sozialgerichts Speyer vom 9.9.1996, Az: S 6 U 106/95, sowie des Bescheides vom 17.8.1994 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.2.1995 festzustellen, daß die bandscheibenbedingten Erkrankungen der LWS und der Halswirbelsäule (HWS) BKen nach Nrn 2108 und 2109 der Anlage 1 zur BKVO sind und die Beklagte zu verurteilen, Verletztenrente nach einer MdE von 20 vH zu gewähren,

hilfsweise,

ein Gutachten nach § 109 SGG von Prof. Dr. K, Orthopädische Universitätsklinik H, einzuholen.

Die ...

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