Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur Anrechnung eines schwerbehinderten Arbeitgebers auf einen Pflichtarbeitsplatz für schwerbehinderte Menschen nach § 75 Abs 1 und 3 SGB 9. sozialgerichtliches Verfahren. Abänderung der Kostenentscheidung des SG im Berufungsverfahren. reformatio in peius

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein schwerbehinderter Sozius einer aus mehreren Rechtsanwälten bestehenden Rechtsanwaltssozietät ist nicht nach § 75 Abs 1 und 3 SGB 9 auf einen Pflichtarbeitsplatz für schwerbehinderte Menschen anzurechnen (Anschluss an BSG vom 30.9.1992 - 11 RAr 79/91 = SozR 3-3870 § 9 Nr 2; LSG Essen vom 8.12.1999 - L 12 AL 79/99).

2. Das Verbot der reformatio in peius gilt nach § 63 Abs 3 GKG nicht für die Abänderung der Kostenentscheidung des SG im Berufungsverfahren.

 

Tenor

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Mainz vom 14.10.2008 - S 4 AL 376/06 - wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

 

Tatbestand

Die Klägerin, eine u. a. aus (inzwischen) vier Rechtsanwälten bestehende Sozietät, begehrt die Anrechnung eines (schwerbehinderten) Sozius auf einen Pflichtarbeitsplatz für schwerbehinderte Menschen nach § 75 Abs. 3 SGB IX.

Die Klägerin übersandte dem Landesamt für Soziales, Jugend und Versorgung mit Schriftsatz vom 29.03.2006 den Bescheid des Amts für soziale Angelegenheiten, Mainz vom 26.01.2006, mit dem für den Sozius der Klägerin Dr. D ab 02/2004 ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 festgestellt worden war und bat unter Bezugnahme auf eine bereits für 2004 nach § 80 Abs. 2 SGB IX erstattete Anzeige um Berücksichtigung und Neuberechnung der Ausgleichsabgabe. Die Beklagte lehnte dies mit Bescheid vom 04.05.2006 ab, nachdem der Antrag vom Landesamt für Soziales, Jugend und Versorgung zuständigkeitshalber an sie weitergeleitet worden war. Zur Begründung führte sie aus, die Anrechnung eines schwerbehinderten Arbeitgebers auf einen Pflichtarbeitsplatz nach § 75 Abs. 3 SGB IX finde nur auf Arbeitgeber Anwendung, die natürliche Personen seien. Sei der Arbeitgeber eine juristische Person oder Personengesamtheit (z. B. GmbH, oHG, KG, GbR) sei er nicht auf einen Pflichtarbeitsplatz anrechenbar. Eine juristische Person oder eine Personengesamtheit als Arbeitgeber seien kein schwerbehinderter Mensch im Sinne des Gesetzes. Da die Rechtsform der Kanzlei eine GbR sei, könne Herr Dr. D nicht als natürliche, sondern müsse als juristische Person angesehen werden und die Anrechnung auf einen Pflichtarbeitsplatz sei daher nicht zulässig.

Der hiergegen erhobene Widerspruch wurde durch Widerspruchsbescheid vom 03.11.2006 zurückgewiesen. Zur Begründung führte die Beklagte im Wesentlichen aus, private und öffentliche Arbeitgeber mit mindestens 20 Arbeitsplätzen im Sinne des § 73 SGB IX hätten auf wenigstens 5% der Arbeitsplätze schwerbehinderte Menschen zu beschäftigen. § 75 SGB IX regele die wesentlichen Grundsätze und Sondertatbestände für die Anrechnung im Rahmen der Beschäftigungspflicht. Die Norm beziehe sich eindeutig auf den in § 73 SGB IX geregelten Begriff des Arbeitsplatzes. Grundsätzlich könnten nur schwerbehinderte und gleichgestellte Beschäftigte auf Arbeitsplätze angerechnet werden. Nach den Sonderregelungen würden auch schwerbehinderte Arbeitgeber angerechnet. Es trete somit die Lage ein, dass diese Arbeitsplätze nicht bei der Berechnung der Pflichtplätze gemäß § 71 Abs. 1 SGB IX mitgezählt würden. Unter Berücksichtigung der historischen Entwicklung und des Willens des Gesetzgebers sollten mit der Vorschrift des § 75 Abs. 3 SGB IX nur natürliche Personen begünstigt werden. Der wesentliche Zweck des SGB IX sei, die Chancen schwerbehinderter Menschen im Erwerbsleben durch Schaffung von Arbeitsplätzen für diese zu fördern. Es handele sich bei § 75 Abs. 3 SGB IX nach herrschender Meinung um ein ausdrückliches Privileg der Einzelunternehmer oder Alleininhaber. Da nur natürliche Personen schwerbehindert sein könnten, deute der Gesetzeswortlaut auf einen restriktiven Inhalt der Vorschrift hin. Sei der Arbeitgeber eine juristische Person oder Personengesamtheit, so seien schwerbehinderte Mitglieder des Organs, das zu den gesetzlichen Vertretungen berufen sei, ebenso wenig wie schwerbehinderte Gesellschafter einer offenen Handelsgesellschaft oder schwerbehinderte Personen einer anderen Personengesamtheit auf die Pflichtplatzzahl anrechenbar. Die Gesellschaft des bürgerlichen Rechts sei in Deutschland eine Vereinigung von (natürlichen oder juristischen) Personen, die sich durch einen Gesellschaftsvertrag gegenseitig verpflichteten, die Erreichung eines gemeinsamen Ziels zu fördern. Eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts sei demnach eine Personengesellschaft. Nach überwiegender Meinung - so auch nach dem Urteil des BSG vom 30.09.1992 - 11 RAr 79/91 - gelte allein der mitarbeitende Betriebinhaber als Arbeitgeber im vorgenannten Sinne.

Hiergegen hat die Klägerin mit am 16.11.2006 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz Klage zum Sozialgericht Mainz (SG) erhoben, die d...

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