Leitsatz (amtlich)

Wer im Namen und auf Rechnung eines Dritten in von diesem gemieteten Räumen ohne eigenes Kostenrisiko Ware verkauft, ist auch dann abhängig und damit versicherungspflichtig beschäftigt, wenn er nur Verkaufsprovisionen - also keine garantierte Mindestvergütung - erhält und keinen Anspruch auf Urlaub und Zahlungen im Krankheitsfall hat.

 

Verfahrensgang

SG Speyer (Urteil vom 26.04.1977; Aktenzeichen S 9 K 79/76)

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 13.07.1978; Aktenzeichen 12 RK 14/78)

 

Tenor

1. Auf die Berufung der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, Berlin, wird das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 26. April 1977 aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind in keinem der beiden Rechtszüge zu erstatten.

3. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Versicherungspflicht der Beigeladenen S..

Aufgrund eines Vertrages vom 2. Januar 1973 betreibt die Beigeladene S. als „Kommissions-Agent” eine Schuhhandels-Filiale der Klägerin in L.. Sie verkauft die Schuhe, die sie ausschließlich von der Klägerin bezieht, im Namen und auf Rechnung der Klägerin. Die Beigeladene S. darf auf eigene Rechnung artverwandte Artikel verkaufen, die sie nur bei der Klägerin einzukaufen hat. Sie besitzt die Gewerbeerlaubnis, zahlt Gewerbesteuer sowie Lohnsteuer und Sozialversicherungsbeiträge für drei Hilfskräfte, die sie selbst eingestellt hat. Für ihre Betriebsführung erhält sie eine Vergütung von 11 % das Verkaufserlöses. Sie hat der Klägerin täglich eine Aufstellung über die verkaufte Ware anzufertigen und den abgerechneten Verkaufserlös abzüglich des Provisionssatzes täglich auf ein Bankkonto der Klägerin einzuzahlen. Die Beigeladene S. ist nach dem Vertrag verpflichtet, die von der Klägerin als Mindestpreis empfohlenen Verkaufspreise einzuhalten und die Verkaufsräume während der üblichen örtlichen Ladenöffnungszeiten geöffnet zu halten und auf ihre Kosten für Vertretung zu sorgen, wenn sie selbst oder ihre Mitarbeiter durch Krankheit oder Urlaub verhindert sind. Die Geschäftsräume hat die Klägerin gemietet, sie zahlt den Mietzins zuzüglich aller Nebenkosten. Nach §18 des Mietvertrages hat die Beigeladene S. als Selbst- und Gesamtschuldnerin die Haftung für alle Mieterverpflichtungen übernommen. Die laufenden Unterhaltskosten für das Geschäft zahlt die Klägerin gegen eine Kürzung der Provision der Beigeladenen S. um pauschal 3 % von 14 % auf 11 % des Verkaufserlöses. Für Warenfehlbestände sowie für Fehlbeträge bei der Abrechnung haftet die Beigeladene S.. Nicht verkaufte Ware nimmt die Klägerin zurück. Für ein schuldhaftes Fehlverhalten ihrer Mitarbeiter oder Erfüllungsgehilfen hat die Beigeladene S. der Klägerin gegenüber in Innenverhältnis einzustehen. Als Kündigungsfrist für den „Kommissions-Agentur-Vertrag” ist für beide Teile ein Monat jeweils auf das Monatsende vereinbart. Bei Auftreten von Fehlbeständen oder sonstigen Unregelmäßigkeiten, insbesondere bei Abrechnungen und beim Geldverkehr, kann die Klägerin fristlos kündigen.

Durch Bescheid vom 3. August 1976 hat die Beklagte die Versicherungspflicht der Beigeladenen S. in der Angestellten- und Arbeitslosenversicherung festgestellt und von der Klägerin von Dezember 1973 bis einschließlich Juni 1976 eine Beitragsleistung von insgesamt knapp 18.000,– DM gefordert. Den Widerspruch der Klägerin hat die Widerspruchsstelle der Beklagten durch Widerspruchsbescheid vom 11. Oktober 1976 im wesentlichen mit der Begründung zurückgewiesen, die Beigeladene S. könne nicht selbständig wie ein Unternehmer entscheiden und trage auch kein Unternehmerrisiko, so daß sie abhängig und damit versicherungspflichtig beschäftigt sei.

Mit der am 20. Oktober 1976 zum Sozialgericht Speyer erhobenen Klage hat die Klägerin weiterhin die Ansicht vertreten: Die Beigeladene S. führe das Schuhgeschäft als selbständige Gewerbetreibende und damit als unabhängige, der Beitragspflicht in der Sozialversicherung nicht unterliegende Unternehmerin. Dem ergebe sich eindeutig schon daraus, daß die Beigeladene S. nach dem Vertrag und auch tatsächlich frei über den Geschäftsablauf einschließlich der selbständigen Beschäftigung von Hilfskräften entscheiden könne, nur ein Provisionseinkommen habe und außer der Miete, für die sie allerdings durch Übernahme der Bürgschaft auch ein wirtschaftliches Risiko trage, praktisch für alle Unkosten selbst aufkommen müsse. Sie sei beim Verkauf der Schuhe nur an die vorgeschriebenen Mindestverkaufspreise gebunden, könne also auch höhere Preise verlangen und schließlich entgegen der vertraglichen Vereinbarung Kreditverkäufe vornehmen. Wieviel und welche Schuhe sie jeweils bei der Klägerin bestelle, sei allein ihrer freien Entscheidung überlassen, bei der sie sich nach der für ihr Geschäft herrschenden Marktsituation richte. Es sei auch allein ihre Sache, ob und wann sie Urlaub mache, ob und durch wen sie sich vertreten lasse und zu welchen Zeiten sie das Geschäft öffne und schließe. Die tägliche Abrechnung der verkauften W...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge