Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Kostenübernahme. Außenseitermethode (Immuntherapie bei Neurodermitis)
Leitsatz (amtlich)
1. Die Rechtsprechung des BSG zu den Außenseitermethoden in der kassenärztlichen Versorgung nach den Bestimmungen der RVO ist durch die Neuregelung der Krankenversicherung im SGB 5 nicht überholt.
2. Trotz Nichtanerkennung einer Behandlungsmethode (hier autohomologe Immuntherapie nach Dr Kief) durch den Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen gemäß § 135 Abs 1 Nr 1 SGB 5 sind die Kosten für ihre Anwendung in den nach dieser Rechtsprechung begründeten Ausnahmefällen weiterhin von den Krankenkassen zu übernehmen.
Verfahrensgang
SG Mainz (Urteil vom 02.08.1991; Aktenzeichen S 1 K 128/90) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Mainz vom 2.8.1991 und der Bescheid vom 12.7.1990 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30.10.1990 aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin die Kosten der bei ihr durchgeführten AHIT gemäß der Rechnung von Dr. R. vom 10.10.1990 in Höhe von 4.580,50 DM zu erstatten.
2. Die Beklagte hat die der Klägerin in beiden Rechtszügen entstandenen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist oder nicht, die Kosten einer Behandlung der Klägerin mit der wissenschaftsmedizinisch (schulmedizinisch) nicht anerkannten Autohomologen Immuntherapie nach Dr. Kief (AHIT) in Höhe von insgesamt 4.580,50 DM zu übernehmen.
Die 1968 geborene Klägerin leidet an einer Neurodermitis (atopisches endogenes Ekzem). Zunächst setzte 1983 bei der Klägerin ein Heuschnupfen ein. Im Frührjahr 1989 entwickelten sich Beuge- und Handekzeme. Seit Herbst 1989 breitete sich die Ekzemerkrankung über den ganzen Körper einschließlich Gesicht aus. Im August 1989 begab die Klägerin sich erstmals in hautfachärztliche Behandlung. Vom 20.11. bis zum 21.12.1989 wurde sie in der Universitäts-Hautklinik M. stationär behandelt. Die Anwendung von Cortisonsalben führte zu einer gewissen Besserung. Danach traten wieder Rezidive auf.
Die Klägerin wandte sich daher an Dr. R., prakt. Arzt und Arzt für Naturheilverfahren in M.. Dieser setzte bei ihr die AHIT ein. Die aus Blut und Urin der Klägerin hergestellten Präparate (Hämolysate und Urolysate) bezog er von der Firma ImBioPharm in Schriesheim, die diese Mittel in Linzenz von Dr. Kief anfertigt. Sie stellte Dr. R. einschließlich Verpackungs- und Versandkosten 3.078,57 DM in Rechnung (Auskunft vom 2.7.1992). Von der Klägerin verlangte Dr. R. 4.580,50 DM (Rechnung vom 10.10.1990). In diesem Betrag sind zusätzlich außer Nebenkosten für Versand und Verpackung auch die Kosten für die Gewinnung und die Ozogenisierung der Lysate sowie ärztliche Beratungskosten und Entsorgungskosten enthalten. Die Injektion der Lysate nahm die Klägerin selbst vor. Die eigentliche AHIT-Behandlung (ohne die Vorbereitungen) dauerte von Oktober 1990 bis September 1991.
Vor Behandlungsbeginn hatte Dr. R. mit Schreiben vom 30.5.1990 bei der Beklagten die Übernahme der damals mit voraussichtlich 4.578,75 DM angegebenen Kosten beantragt. Die Beklagte holte daraufhin die Stellungnahme von Medizinaldirektor Dr. H. vom MDK Rheinland-Pfalz vom 29.6.1990 ein. Darin heißt es, es handele sich um eine Außenseitertherapie, deren Wirksamkeit wissenschaftlich nicht erwiesen sei. Im übrigen seien die schulmedizinischen Maßnahmen noch nicht ausgeschöpft, da bisher keine Klimakur durchgeführt worden sei.
Durch Bescheid vom 12.7.1990 lehnte die Beklagte den Antrag ab, da § 2 SGB V nur Leistungen nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zulasse. Mit ihrem Widerspruch machte die Klägerin geltend, die schulmedizinischen Therapieversuche hätten total versagt. Bei der AHIT seien die Erfolgschancen gut. Eine Klimakur könne bei ihrem jetzigen akuten Zustand nur eine Folge- oder eine Zusatzmaßnahme sein. Der Widerspruch wurde durch Widerspruchsbescheid vom 30.10.1990 mit der. Begründung zurückgewiesen, die AHIT sei nicht als vertragsärztliche Versorgung anerkannt.
Im Klageverfahren hat die Beklagte ihre Begründung dahingehend ergänzt, die AHIT dürfe in der vertragsärztlichen Versorgung nicht angewendet werden, weil nach § 135 Abs. 1 SGB V neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden nur abgerechnet werden dürften, wenn der Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V entsprechende Empfehlungen abgegeben habe, was bisher nicht geschehen sei.
Mit im wesentlichen der gleichen Begründung hat das Sozialgericht Mainz die Klage durch Urteil vom 2.8.1991 abgewiesen, nachdem es von der Kassenärztlichen Bundes Vereinigung die Auskunft vom 1.3.1991 eingeholt hatte, daß Anträge zur Anerkennung der AHIT nach § 135 Abs. 1 SGB V zwar vorlägen, über sie aber noch nicht entschieden worden sei und wegen der Fülle von Anträgen zu neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden auch in absehbarer Zeit nicht ...