Entscheidungsstichwort (Thema)
Unfallversicherungsschutz. Fremdrentenrecht. Freies Arbeitsverhältnis. Sowjetunion
Leitsatz (amtlich)
Volksdeutsche aus Rumänien, die ab Anfang 1945 zur Arbeitsleistung in die Sowjetunion verbracht wurden, standen auch dann in einem freien Arbeitsverhältnis iS der gesetzlichen Unfallversicherung, wenn sie außerhalb der Arbeitszeit in einem bewachten Zwangsarbeitslager festgehalten wurden.
Verfahrensgang
SG Koblenz (Urteil vom 24.11.1993; Aktenzeichen S 5 KnU 12/93) |
Nachgehend
Tenor
1. Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 24.11.1993 abgeändert, der Bescheid der Beklagten vom 5.5.1992 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.8.1992 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, den Bescheid vom 18.4.1990 zurückzunehmen und der Klägerin dem Grunde nach Unfallentschädigung wegen des am 21.4.1949 erlittenen Arbeitsunfalls zu gewähren.
2. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
Tatbestand
Mit der Berufung begehrt die Klägerin weiterhin Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung wegen eines im April 1949 in der ehemaligen UdSSR erlittenen Unfalls.
Die 1922 in Rumänien geborene Klägerin lebt seit Oktober 1988 in der Bundesrepublik. Sie ist Inhaberin eines Vertriebenenausweises A, ausgestellt von der Kreisverwaltung Worms-Alzey am 23.3.1989.
Wegen ihrer deutschen Volkszugehörigkeit wurde sie im Januar 1945 von Rumänien in die ehemalige UdSSR verschleppt. Sie kam dort in ein Zwangsarbeitslager und mußte in einem ukrainischen Bergwerk unter Tage als Kippwagenfahrerin arbeiten. Nach ihren Angaben stand das Lager unter strenger Bewachung. Die Insassen wurden unter Bewachung zur Arbeitsstelle und nach der Arbeit zum Lager gebracht. Ein- und Ausgang des Bergwerks wurden auch während der Arbeitszeit bewacht. Im Bergwerk selbst wurde die Arbeit von einem russischen Bergbauarbeiter geleitet. Barlohn wurde angeblich nicht gezahlt. Verpflegung und Kleidung wurden aber von der Lagerleitung kostenlos zur Verfügung gestellt. Außerdem durften die Lagerinsassen manchmal unter Bewachung in einem Basar außerhalb des Lagers einkaufen.
Am 21.4.1949 wurde die Klägerin bei der Arbeit im Bergwerk von einer einstürzenden Mauer begraben. Ihr rechtes Bein wurde eingequetscht und schwer verletzt. Nach einem längeren Krankenhausaufenthalt in Rußland, der keine Heilung brachte, konnte sie schließlich im Oktober 1949 als dauernd arbeitsunfähig nach Rumänien zurückkehren. Dort wurde sie im Dezember 1949 operiert und anschließend bis Februar 1950 stationär behandelt. Infolge des Unfalls ist das rechte Bein der Klägerin erheblich verkürzt. Außerdem bestehen noch erhebliche Bewegungseinschränkungen im rechten Hüftgelenk.
Wegen der Unfallfolgen bezog die Klägerin in Rumänien ab 1.1.1967 eine Invaliditätsrente nach dem Behinderungsgrad II und ab 1.8.1976 nach dem Behinderungsgrad I mit Pflegezulage. Deshalb ruhte die ihr gemäß § 64 Abs. 2 Satz 2 BVG mit Bescheid des Versorgungsamts Gelsenkirchen vom 12.10.1970 zuerkannte Teilversorgung bis zur Aussiedlung im wesentlichen.
Seit dem 1.10.1988 erhält die Klägerin jedoch Versorgungsbezüge nach einer MdE von 70 % einschließlich 10 % wegen besonderen beruflichen Betroffenseins (Bescheide des Versorgungsamts Mainz vom 15.1.1990 und des Versorgungsamts Landau vom 1.2.1991, 23.6. und 2.9.1993). Als Schädigungsfolgen sind dabei anerkannt: Beinverkürzung rechts um 6, 7 cm und starke Bewegungseinschränkung der rechten Hüftregion nach in Fehlstellung verheilter Hüftluxationsfraktur rechts. Reizlose Narben in der rechten Hüftregion im Bereich des linken Kniegelenks und im Bereich des rechten Kniegelenks nach Hautabschürfungen, Operation und Drahtextension. Fehlhaltung der Wirbelsäule. Geringe degenerative Veränderungen des rechten Kniegelenks.
Von der Bundesknappschaft erhält die Klägerin seit 1.10.1988 außerdem Knappschaftsruhegeld (Bescheide vom 30.11.1989, 30.8.1991, 11.3. und 29.12.1993). In diesen Bescheiden ist die hier in Rede stehende Tätigkeit von Januar 1945 bis April 1949 als glaubhaft gemachte Pflichtbeitragszeit mit 5/6 berücksichtigt. Die dadurch entstehenden Lücken sind wegen der gleichzeitigen Internierung als Ersatzzeit anerkannt.
Am 23.1.1989 beantragte die Klägerin bei der Beklagten erstmals die streitige Unfallentschädigung. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 14.8.1990 ab, weil die Klägerin während der unfallbringenden Tätigkeit als Zwangsarbeiterin nicht einem freien Arbeitsverhältnis gestanden habe. Dieser Bescheid wurde bindend.
Am 1.4.1992 beantragte die Klägerin seine Überprüfung gemäß § 44 SGB X. Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 5.5.1992 und Widerspruchsbescheid vom 20.8.1992 die Gewährung einer Entschädigung wiederum ab. Zur Begründung bezog sie sich auf ein Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 8.11.1983 – L 6 KnU 284/83 –. Danach stünden die infolge Zwangsverschl...