Entscheidungsstichwort (Thema)
Anforderungen an den Nachweis einer Gewalttat zur Bewilligung von Opferentschädigung
Orientierungssatz
1. Als Schädigungsfolgen einer Gewalttat i. S. von § 1 Abs. 1 OEG sind nur solche nachgewiesenen Gesundheitsstörungen anzuerkennen, die wenigstens mit Wahrscheinlichkeit durch das schädigende Ereignis verursacht worden sind.
2. Die anspruchsbegründenden Voraussetzungen für eine soziale Entschädigung nach dem OEG müssen nachgewiesen sein. Es gelten die allgemeinen Beweisgrundsätze.
3. Ist ein Nachweis der behaupteten Gewalttat nicht geführt und kann er mangels Zeugen oder anderer Beweismittel nicht mehr geführt werden, so greift die Beweiserleichterungsvorschrift des § 15 KOVVfG nicht ein. Beruht die Beweisnot auf dem bloßen Zeitablauf und dem damit verbundenen Wegfall der Beweismittel, so ist die Beweiserleichterungsvorschrift des § 15 KOVVfG nicht anwendbar.
4. In einem solchen Fall ist ein sog. Glaubhaftigkeitsgutachten zur Verwertbarkeit der Angaben des geschädigten Antragstellers von Amts wegen durch das Gericht einzuholen.
Tenor
1. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 11.12.2015 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Versorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG).
Die im Jahr 1969 geborene Klägerin beantragte im Oktober 2011 beim Amt für soziale Angelegenheiten Koblenz die Gewährung von Versorgung nach dem OEG und gab an, sie sei zu Hause in ihrem Kinderzimmer vom neunten bis zum elften Lebensjahr wiederholt von ihrem Vater, dem verstorbenen H -O R , sexuell missbraucht worden. Der Vater sei nachts im betrunkenen Zustand zu ihr in ihr Bett im Kinderzimmer gekommen, habe sie ausgezogen und einen Geschlechtsverkehr mit ihr erzwungen. Jahre zuvor habe er ihre Schwester vergewaltigt, die im Alter von 13 Jahren ein Kind von dem Vater bekommen habe. Der Vater sei rechtskräftig verurteilt worden. Sie habe seinerzeit keine Hilfe gesucht und bis zum 25. Lebensjahr alles verschwiegen und verdrängt. Erstmals im Jahr 1994 habe sie sich einer Suchtberaterin anvertraut. Sie leide unter psychischen Erkrankungen und einer Suchterkrankung als Folge der Gewalttat.
Die Schwester der Klägerin, G E , teilte auf Anfrage der Beklagten mit, die Klägerin habe ihr etwa vor fünfzehn Jahren zum ersten Mal von dem sexuellen Missbrauch berichtet. Zum damaligen Zeitpunkt sei die Klägerin bereits geschieden gewesen, habe Probleme gehabt und getrunken. Sie habe ihr erzählt, der Vater habe auch sie vergewaltigt. Sie, Frau E , sei selbst Opfer sexueller Gewalt durch den Vater geworden, woraus auch ihr ältester Sohn hervorgegangen sei. Der Vater sei damals im Jahr 1976 auch verurteilt worden und habe ca. zweieinhalb bis drei Jahre eine Freiheitsstrafe abgesessen. Nach der Haft sei er wieder zu Hause eingezogen, bis die Mutter die Scheidung eingereicht und ihn etwa 1982/1983 aus dem Haus geworfen habe. Die Eltern seien mittlerweile beide verstorben.
Der Beklagte zog die Schulzeugnisse sowie Entlassungsberichte über stationäre Heilbehandlungen der Klägerin im St. A -Krankenhaus W bei, holte Befundberichte der die Klägerin behandelnden Ärzte ein, hörte die Klägerin am 04.06.2012 persönlich an und forderte Zeugenaussagen der von der Klägerin benannten Zeugen an. Der Zeuge K teilte mit, er habe im Mai 2006 von der Klägerin erfahren, dass sie sexuell von ihrem Vater missbraucht worden sei. Genauere Einzelheiten kenne er nicht. Der Bruder der Klägerin, Herr G R , teilte mit, er wisse von dem Missbrauch nichts und könne nichts dazu sagen. Der Bruder der Klägerin, T R , teilte telefonisch mit, dass er nichts beobachtet habe und von einem sexuellen Missbrauch der Klägerin durch den Vater nichts wisse.
Mit Bescheid vom 04.11.2013 lehnte der Beklagte daraufhin den Antrag ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, eine Befragung der Mutter bzw. des Vaters der Klägerin sei nicht mehr möglich, da beide verstorben seien. Die Brüder der Klägerin hätten keine Angaben machen können. Auch die ehemaligen Lebensgefährten hätten keine Angaben machen können. Herr K habe nach seinen Angaben erst im Jahr 2006 von der Klägerin von dem sexuellen Missbrauch erfahren. Die Schwester der Klägerin habe mitgeteilt, sie habe etwa 1998 zum ersten Mal von der Klägerin von dem sexuellen Missbrauch gehört. Es sei damit nicht erwiesen, dass die Klägerin Opfer einer Gewalttat geworden sei. Die Aussagen der Klägerin in ihrem Schreiben und während der Anhörung vom 14.05.2012 enthielten keine konkreten Angaben dafür, dass auf sie ein vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff durch ihren Vater verübt worden sei. Der vagen, nicht detaillierten Schilderung lasse sich ein konkretes Tatgeschehen nicht entnehmen. Die Klägerin habe die Gewalttaten zudem bis zu ihrem 25. Lebensjahr und verdrä...