Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitslosengeld II. Kosten für Nachhilfeunterricht. Lese- und Rechtschreibschwäche. laufender besonderer unabweisbarer Bedarf nach der Härtefallregelung des BVerfG. anderweitige Bedarfsdeckung durch Ansparung bzw Einkommensumschichtung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der Härtefallanspruch, der nach dem Urteil des BVerfG vom 9.2.2010 unmittelbar aus der Verfassung abzuleiten ist, kann sich grundsätzlich auch auf Übernahme der Kosten für einen privaten Nachhilfeunterricht durch den Träger der Grundsicherungsleistungen ergeben.

2. Ein atypischer Bedarf kann vorliegen, wenn sich eine Lese- und Rechtsschreibschwäche auf verschiedene schulische Fächer auswirkt. Es ist nicht erforderlich, dass ein spezieller Nachhilfeunterricht zur Behebung der Lese- und Rechtsschreibschwäche in Anspruch genommen wird.

3. Der Anspruch ist nur begründet, wenn ein unabweisbarer Bedarf vorliegt. Dies erfordert, dass der Bedarf unaufschiebbar ist und ohne die Bedarfsdeckung eine Gefährdungslage für das unabdingbar zu gewährleistende Leistungsniveau entstünde.

4. Es ist denkbar, dass in besonderen Konstellationen ein unabweisbarer Bedarf auch ohne akute Versetzungsgefährdung in die nächste Klasse bzw. Jahrgangsstufe vorliegen kann (konnte offen bleiben).

5. Wenn der Schüler in keinem der unterrichteten Fächer schlechter als mit der Note "befriedigend" beurteilt ist, dürfte dies regelmäßig einen unabweisbaren Bedarf für außerschulischen Nachhilfeunterricht ausschließen.

 

Tenor

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten über den Anspruch des Antragstellers auf Kostenübernahme für Nachhilfeunterricht im Rahmen eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens.

Der am … 1994 geborene Antragsteller steht zusammen mit seiner Mutter H… D… und seiner Schwester L… D… (geboren ... 1995) im laufenden Leistungsbezug bei der Antragsgegnerin. Seit Juli 2009 ist die Mutter alleinerziehend, nachdem der Vater des Antragstellers ausgezogen ist. Die Mutter des Antragstellers erzielt als Betreuungskraft für Demenzkranke aufgrund des wechselnden Betreuungsbedarfes ein nicht konstantes Einkommen von monatlich zwischen 1.000 und 1.160 € netto. Die tatsächlichen Kosten der Unterkunft (Größe der Wohnung 88 qm) beliefen sich auf 626,08 € (Grundmiete 456,08 €, Betriebskosten 90 € und Heizkosten incl. Warmwasser 80 €). Die Antragsgegnerin wies die Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft darauf hin, dass die Kosten der Unterkunft unangemessen seien und nur noch bis zum 28. Februar 2010 in der bisherigen Höhe übernommen würden. Der Antragsteller besucht die Sekundarschule “A… H… F… „ in der 9. Klasse, Realschulzweig, wobei er die Klassenstufe wiederholt. Die Schwester des Antragstellers besucht die 8. Klasse des H… Gymnasiums.

Mit Bewilligungsbescheid vom 11. Januar 2010 bewilligte die Antragsgegnerin den Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft für die Zeit vom Januar bis Juni 2010 vorläufig Leistungen. Dabei bewilligte sie für April bis Juni 2010 vorläufig monatlich 274,59 €. Hierauf entfielen auf den Antragsteller monatlich 63,77 €. Die Antragsgegnerin berücksichtigte einen monatlichen Gesamtbedarf von 1538,67 € (Regelleistungen in Höhe von 359 € + 287 € + 287 € sowie 129 € Alleinerziehendenzuschlag und 476,67 € Kosten der Unterkunft und Heizung). Als Einkommen berücksichtigte sie bei der Mutter des Antragstellers für März 2010 1163,08 € netto Erwerbseinkommen, welches im Rahmen der Einkommensbereinigung (Pauschbetrag 100 € und Freibetrag 210 €) zu reduzieren sei, so dass sich ein berücksichtigungsfähiger Betrag von 853,08 € ergebe. Bei dem Antragsteller und seiner Schwester brachte die Antragsgegnerin zudem je 184 € Kindergeld als Einkommen in Abzug. Der Bescheid sei vorläufig, da Einkommensnachweise der Mutter des Antragstellers noch nicht vorlägen. Hiergegen legte der Antragsteller Widerspruch ein. In der Widerspruchsbegründung führte der Antragsteller u. a. aus: Neben der Höhe der Kosten der Unterkunft ab März 2010, bestehe auch ein Anspruch auf einen Sonderbedarf für Kosten für Nachhilfeunterricht für den Antragsteller nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 9. Februar 2010. Mit Bescheiden vom 1. Februar 2010, 22. März 2010 und 12. April 2010 bewilligte die Antragsgegnerin endgültige Leistungen für Januar 2010 in Höhe von 524,11 € (wobei Leistungen in Höhe von 120,24 € auf den Antragsteller entfielen) und für Februar 2010 Leistungen in Höhe von 454,17 € (wobei Leistungen in Höhe von 104,19 € auf den Antragsteller entfielen) sowie für März 2010 Leistungen in Höhe von 347,78 € (wobei 77,80 € auf Leistungen für den Antragsteller entfielen).

Am 3. März 2010 hat der Antragsteller, gesetzlich vertreten durch seine Mutter, einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beim Sozialgericht Halle (SG) wegen des besonderen Bedarfs für die Kosten für Nachhilfeunterricht gestellt. Zur Begründung hat er ausgeführt: Es sei bei ihm bereits im Jahr 2003 eine Lese-Rechtsch...

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