Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Rechtsanwaltsvergütung. Statthaftigkeit der Beschwerde gegen die Erinnerungsentscheidung des SG über die Vergütung des beigeordneten Anwalts. Änderung des § 73a Abs 1 SGG durch das PKH/BerHRÄndG. Voraussetzungen einer Verwirkung des Erinnerungsrechts der Staatskasse. Zeitmoment. Umstandsmoment
Leitsatz (amtlich)
1. Die Beschwerde gegen Erinnerungsentscheidungen des SG über die Vergütung des beigeordneten Rechtsanwalts ist gemäß den §§ 33 Abs 3, 56 Abs 2 RVG zulässig. Nach der Änderung des § 73a Abs 1 S 4 SGG ist die bisherige Rechtsprechung des Senats (Beschluss vom 30.10.2009 - L 4 P 8/09 B) nicht mehr anwendbar und wird aufgegeben. § 178 SGG wird durch die spezielleren Regeln des RVG verdrängt.
2. Das grundsätzlich unbefristete Erinnerungsrecht der Staatskasse nach § 56 Abs 2 RVG gegen einen Kostenfestsetzungsbeschluss kann verwirkt werden. Die Verwirkung setzt neben einem erheblichen Zeitablauf beachtliche Umstandsmomente voraus.
Tenor
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Gründe
I.
Das Beschwerdeverfahren betrifft die Vergütung als beigeordneter Rechtsanwalt, die dem Erinnerungsführer und Beschwerdegegner (im Folgenden: Beschwerdegegner) gegen die Staatskasse zusteht.
Der Beschwerdegegner war in einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren auf höhere Leistungsbewilligungen nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches - Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende - (SGB II) der aus drei Personen bestehenden Bedarfsgemeinschaft der damaligen Antragsteller vom Sozialgericht Dessau-Roßlau beigeordnet worden (S 2 AS 2213/12). Der Antragsgegner des ER-Verfahrens hatte den Antragstellern zunächst nur monatlich 468,99 EUR monatlich für einen Bewilligungsabschnitt bewilligt. Zwei Tage nachdem der Beschwerdegegner den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz beim SG gestellt hatte, erhöhte der Antragsgegner den monatlichen Leistungsanspruch mit Änderungsbescheid auf monatlich 1.110,82 EUR. Daraufhin erklärte der Beschwerdegegner den Rechtsstreit für erledigt und nahm das Kostenanerkenntnis des Antragsgegners an.
Am 17. September 2012 hat der Beschwerdegegner einen Kostenerstattungsantrag mit folgenden Positionen gestellt:
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1. Verfahrensgebühr gemäß 3102 VV RVG |
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400,00 EUR |
2. Gebührenerhöhung um 20 % |
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80,00 EUR |
3. Pauschale Nr. 7002 VV RVG |
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20,00 EUR |
Zwischensumme: |
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500,00 EUR |
19 % Mehrwertsteuer |
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95,00 EUR |
Gesamtsumme: |
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595,00 EUR |
Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle beim SG hat am 8. Oktober 2012 die Vergütung nach §§ 45 ff. Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) festgesetzt, eine Gebührenerhöhung um 20 % jedoch nicht für gerechtfertigt gehalten und die Abrechnung auf 499,80 EUR gekürzt. Der Beschwerdegegner hat gegen den ihm am 15. Oktober 2012 zugestellten Beschluss am 29. Oktober 2012 Erinnerung eingelegt und ausgeführt: Angesichts des erheblichen Leistungsbetrages, der seinen Mandanten vorenthalten worden sei, sei die Erhöhung gerechtfertigt.
Der Beschwerdeführer und Erinnerungsgegner (im Folgenden: Beschwerdeführer) hat mit Schreiben vom 16. November 2012 Kenntnis vom Erinnerungsverfahren erlangt und am 28. November 2012 um Übersendung des streitigen Kostenfestsetzungsbeschlusses gebeten. Am 28. Dezember 2012 hat der Beschwerdegegner mitgeteilt, dass ein umfassendes Kostengrundanerkenntnis des Antragsgegners vorliege. Es seien daher die Gebühren in voller Höhe zu erstatten.
Das SG hat die Erinnerung mit Beschluss vom 7. Januar 2015 zurückgewiesen und festgestellt, dass die Möglichkeit einer Beschwerde zum Landessozialgericht Sachsen-Anhalt wegen § 178 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nicht gegeben sei.
Der Beschwerdeführer hat gegen den am 21. Januar 2015 zugestellten Beschluss am 23. Januar 2015 Beschwerde beim SG eingelegt und ausgeführt: Das Rechtsmittel sei statthaft, da gemäß § 73a Abs. 1 Satz 4 SGG i.V.m. §§ 1, Abs. 3, 56, 33 Abs. 3 RVG die Vorschrift des § 178 SGG zurücktrete. In der Sache sei nur die Hälfte der Mittelgebühr berechtigt und der Gesamtanspruch des Beschwerdegegners auf insgesamt 261,80 EUR zu kürzen.
Der Beschwerdegegner hat sich zum Verfahren nicht geäußert.
Das SG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.
II.
Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
Zuständig für die Entscheidung über die Beschwerde ist zwar prinzipiell der Einzelrichter (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 8 Satz 1 RVG). Die Sache ist jedoch wegen grundsätzlicher Bedeutung der Angelegenheit gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 33 Abs. 8 Satz 2 RVG vom Senat als Gesamtspruchkörper zu treffen.
1. Die Beschwerde ist zulässig. Entgegen der Ansicht des SG ist die Beschwerde statthaft. § 178 Satz 1 SGG steht dem nicht entgegen. Durch das Gesetz zur Änderung des Prozesskostenhilfe- und Beratungshilferechts vom 31. August 2013 (Bundesgesetzblatt 2013 Teil I Nr. 55 S. 3533) hat der Gesetzgeber in § 73a Abs. 1 SGG durch Anfügen des Satzes 4 geregelt, dass sich die Vergütung für den beigeordneten Rechtsanwalt nach den Vorschriften des RVG richtet. Daraus folgt dass das RVG und damit insbesondere die dort gereg...