Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Rechtsanwaltsvergütung. Statthaftigkeit der Beschwerde gegen die Erinnerungsentscheidung des SG über die Vergütung des beigeordneten Anwalts. Änderung des § 73a Abs 1 SGG durch das PKH/BerHRÄndG. Voraussetzungen einer Verwirkung des Erinnerungsrechts der Staatskasse. Zeitmoment. Umstandsmoment

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Beschwerde gegen die Entscheidung des SG über die Vergütung des beigeordneten Rechtsanwalts ist gemäß §§ 33 Abs 3, 56 Abs 2 RVG zulässig. Nach der Änderung von § 73a Abs 1 S 4 SGG ist die frühere Rechtsprechung des Senats (Aufgabe LSG Halle vom 30.10.2009 - L 4 P 8/09 B) nicht mehr anwendbar und wird aufgegeben. § 178 SGG wird durch die speziellere Regelung des RVG verdrängt (vgl LSG Halle vom 6.11.2015 - L 4 AS 427/15 B).

2. Das grundsätzlich unbefristete Erinnerungsrecht der Staatskasse nach § 56 Abs 2 RVG gegen einen Kostenfestsetzungsbeschluss kann verwirkt werden. Die Verwirkung setzt neben einem erheblichen Zeitablauf beachtliche Umstandsmomente voraus. Diese können auch darin liegen, dass die Staatskasse für Fallgestaltungen, in denen ausschließlich über die Höhe der - dem Grunde nach unbestritten angefallenen - Gebühren gestritten wird, regelmäßig auf eine Anhörung in dem auf die Erinnerung des Rechtsanwalts geführten Erinnerungsverfahren verzichtet und damit zu erkennen gegeben hat, an einem Streit (ausschließlich) über die Gebührenhöhe prinzipiell kein Interesse zu haben.

 

Tenor

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

 

Gründe

I.

Das Beschwerdeverfahren betrifft die Vergütung als beigeordneter Rechtsanwalt, die dem Erinnerungsführer und Beschwerdegegner (im Folgenden: Beschwerdegegner) gegen die Staatskasse zusteht.

Der Beschwerdegegner war in dem Verfahren S 6 AS 1309/11 des Sozialgerichts (SG) Dessau-Roßlau um die Bewilligung höherer Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung im Sinne von § 22 Abs. 1 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) vom SG der aus fünf Personen bestehenden Bedarfsgemeinschaft der damaligen Kläger beigeordnet worden. Die Kläger hatten geltend gemacht, dass die Unterkunftskosten für ihr selbst genutztes Eigenheim im Bewilligungszeitraum Februar bis Mai 2007 nicht vollumfänglich in den jeweiligen Fälligkeitsmonaten berücksichtigt worden seien. In der nichtöffentlichen Sitzung vom 3. Mai 2013 hatten sich die Beteiligten vergleichsweise auf die Zahlung weiterer Unterkunftskosten in Höhe von 24,34 EUR für den streitgegenständlichen Zeitraum verständigt. Der Beklagte hatte nach dem Vergleich ein Drittel der außergerichtlichen Kosten der Kläger im Widerspruchsverfahren zu tragen; die Kosten im Klageverfahren wurden gegeneinander aufgehoben. Im Übrigen erklärten die Beteiligten im Rahmen des gerichtlichen Vergleichs den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt.

Am 3. Mai 2012 hat der Beschwerdegegner einen Kostenerstattungsantrag mit folgenden Positionen gestellt:

- Verfahrensgebühr für Verfahren vor Sozialgericht, vorausgegangenes Verwaltungsverfahren, § 49 RVG, Nrn. 3103, 3102 VV RVG:

 374,00 EUR

- Gebührenerhöhung Nr. 1008 VV RVG 120 % wegen fünf Auftraggebern -

- Terminsgebühr im Verfahren vor Sozialgericht § 49, Nr. 3106 VV RVG

200,00 EUR

- Einigungsgebühr, gerichtliches Verfahren in sozialrechtlichen Angelegenheiten § 49 RVG, Nrn. 1006, 1005 VV RVG

 190,00 EUR

- Erhöhung aller Gebühren um 20 %

152,80 EUR

- Geschäftsreise, Benutzung des eigenen Kfz Nr. 7003 VV RVG 1/9

 4,07 EUR

Kfz-Benutzung am 3.5.2013 122,00 km Hin- und Rückweg mal 0,30 EUR

- Geschäftsreise, Tages- und Abwesenheitsgeld für mehr als vier bis acht Stunden Nr. 7005 Nr. 2 VV RVG 1/9

 3,89 EUR

- Post und Telekommunikation

 20,00 EUR

Zwischensumme netto

 944,76 EUR

19 % Mehrwertsteuer Nr. 7008 VV RVG

179,50 EUR

zu zahlender Betrag (Kostenforderung des Rechtsanwalts)

1.124,26 EUR

Zahlungen Staatskasse

 -320,11 EUR

Erstattungsbetrag Staatskasse

 804,15 EUR

Der Beschwerdegegner hat hierzu ausgeführt, der Umfang der Bearbeitung sei weit überdurchschnittlich, indes die Rechtsprechung zu den maßgeblichen Problemkreisen nicht eindeutig gewesen, woraus sich eine schwierige Sach- und Rechtslage ergeben habe. Außerdem seien den Klägern Leistungen in Höhe von mehr als 200,00 EUR vorenthalten worden. Im Termin sei die Sach- und Rechtslage umfangreich erörtert worden. Des Weiteren sei die lange Verfahrensdauer zu berücksichtigen.

Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle beim SG hat am 17. Oktober 2013 die Vergütung nach § 55 des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG) festgesetzt und dabei die Abrechnung auf einen Gesamtbetrag von 679,76 EUR gekürzt, so dass sich unter Berücksichtigung der bereits aus der Landeskasse geleisteten Vorschusszahlung (320,11 EUR) noch ein Resterstattungsbetrag in Höhe von 488,80 EUR ergab. Die Urkundsbeamtin hat dabei die Verfahrensgebühr auf 261,80 EUR (30 % unter der Mittelgebühr) festgesetzt. Die Terminsgebühr und die Einigungsgebühr sind auf die Mittelgebühren in Höhe von 200,00 bzw. 190,00 ...

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