Entscheidungsstichwort (Thema)
Einstweiliger Rechtsschutz. Grundsicherung für Arbeitsuchende. vereinfachtes Verfahren aus Anlass der COVID-19-Pandemie. Unterkunft und Heizung. befristete Aussetzung der Angemessenheitsprüfung. nicht pandemiebedingter Umzug
Leitsatz (amtlich)
§ 67 Abs 3 SGB II findet auch bei nicht pandemiebedingten Umzügen Anwendung, sodass für die ersten sechs Monate die tatsächlichen Unterkunftskosten zu übernehmen sind. Der Wortlaut der Vorschrift und die Gesetzgebungsgeschichte rechtfertigen keine restriktive Begrenzung des Anwendungsbereichs auf bereits bewohnten Wohnraum.
Tenor
Der Beschluss des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 21. Januar 2022 wird abgeändert.
Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragstellern für die Zeit vom 14. Dezember 2021 bis zur endgültigen Entscheidung in der Hauptsache, längstens bis zum 30. April 2022 vorläufig (höhere) Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II unter Berücksichtigung der tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung zu gewähren.
Der Antragsgegner trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragsteller für beide Rechtszüge.
Gründe
I.
Die Antragsteller und Beschwerdeführer (im Weiteren: Antragsteller) begehren im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) für die Zeit vom 14. Dezember 2021 bis zum 30. April 2022 unter Berücksichtigung ihrer tatsächlichen Unterkunftskosten.
Die am ... 1984 geborene Antragstellerin zu 1 und ihr am ... 2020 geborenes Kind, der Antragsteller zu 3, zogen im Oktober 2021 nach Dessau-Roßlau. Der am ... 2009 geborene Antragsteller zu 2 ist ebenfalls das Kind der Antragstellerin zu 1 und lebt überwiegend bei seinem Vater in Berlin. Zur Wahrnehmung des Umgangsrechts hält er sich tageweise (jedes zweite Wochenende und wochenweise in den Ferien) bei der Antragstellerin zu 1 auf. Hierzu wird auf die vorgelegte „Erklärung temporäre BG“ (Blatt 11 der Gerichtsakte) verwiesen.
Am 19. Oktober 2021 beantragten die Antragsteller beim Antragsgegner und Beschwerdegegner (im Weiteren: Antragsgegner) Leistungen nach dem SGB II. Zu dieser Zeit lebten die Antragsteller zu 1 und 3 noch bei Freunden und beabsichtigten, zum 1. November 2021 eine Wohnung zu beziehen. Hierfür reichte die Antragstellerin zu 1 ein Wohnungsangebot für die 83 m² große Wohnung in der P-Straße in Dessau-Roßlau ein. Die monatlichen Kosten sollten insgesamt 688 € betragen, wovon 480 € auf die Grundmiete, 88 € auf die Vorauszahlung für Betriebskosten und 120 € auf die Vorauszahlung für Heizkosten entfielen.
Mit Bescheid vom 21. Oktober 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 3. November 2021 lehnte der Antragsgegner die Zustimmung zum Umzug ab, da die Aufwendungen für die begehrte Unterkunft unangemessen seien. Für einen Dreipersonenhaushalt ergebe sich ein Höchstbetrag für Grundmiete und Betriebskosten von 491,54 €. Unter Berücksichtigung angemessener Heizkosten (86,25 €) ergebe sich eine Gesamtangemessenheitsgrenze von maximal 577,79 €.
Mit Bescheid vom 11. November 2021 sicherte der bisherige Leistungsträger, das Jobcenter Landkreis Potsdam-Mittelmark, die Übernahme der Umzugskosten in die Wohnung in der P-Straße in Dessau-Roßlau zu.
Am 15. November 2021 zogen die Antragsteller zu 1 und 3 in diese Wohnung ein (Mietvertrag vom 16. November 2021).
Die Antragstellerin zu 1 hat kein Einkommen. Der Antragsteller zu 3 erhält Kindesunterhalt von monatlich 350 € sowie Kindergeld von 219 €. Bis zum 30. November 2021 erhielten die Antragsteller zu 1 und 3 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts vom bisherigen Leistungsträger.
Mit Bescheid vom 3. Dezember 2021 bewilligte der Antragsgegner den Antragstellern zu 1 und 2 vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts vom 1. Dezember 2021 bis zum 30. April 2022 und berücksichtigte dabei Kosten der Unterkunft und Heizung (KdUH) in Höhe von 458,88 €. Für den Antragsteller zu 2 erfolge die Leistungsbewilligung nur anteilig entsprechend der Anwesenheitstage. Der Antragsteller zu 3 decke seinen eigenen Bedarf durch die Unterhaltszahlungen seines Vaters sowie Kindergeld.
Mit Bescheid vom gleichen Tag gewährte der Antragsgegner der Antragstellerin zu 1 ein Darlehen für die für die Wohnung fällige Mietkaution in Höhe von 960 €.
Die Antragsteller erhoben unter dem 14. Dezember 2021 Widerspruch gegen den Leistungsbescheid vom 3. Dezember 2021, über den bislang noch nicht entschieden wurde.
Zugleich haben die Antragsteller am 14. Dezember 2021 beim Sozialgericht Dessau-Roßlau (SG) einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt und die Berücksichtigung der tatsächlichen KdUH von monatlich 688 € geltend gemacht. Durch die erhebliche Differenz zwischen bewilligten und tatsächlichen Unterkunftskosten sei ihre Existenzsicherung gefährdet. Zudem sei bei dem Antragsteller zu 2 im März 2022 ein weiterer Aufenthaltstag zu berücksic...