Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Rechtsweg. Angelegenheit der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Einordnung einer Mahnung / der Festsetzung einer Mahngebühr. rechtlicher Zusammenhang mit der Verwaltungstätigkeit. keine Vollstreckungsmaßnahme. Eröffnung des Sozialrechtswegs. Rechtswegbeschwerde. Kostenentscheidung bei erfolgreicher Beschwerde im Hauptsacheverfahren
Leitsatz (amtlich)
Die Mahnung - und die sie begleitende Festsetzung einer Mahngebühr - steht als Annex in einem rechtlichen Zusammenhang mit der Verwaltungstätigkeit (hier) nach dem SGB II. Sie ist keine Vollstreckungsmaßnahme, sondern eine Vollstreckungsvoraussetzung. Erst danach kann das Verfahren der Verwaltungsvollstreckung mit der Vollstreckungsanordnung eingeleitet werden.
Orientierungssatz
Im Fall der begründeten Rechtswegebeschwerde ist es geboten, die Entscheidung über die Kosten der Rechtswegebeschwerde der Entscheidung über die Kosten des Hauptsacheverfahrens vorzubehalten (ebenso LSG Essen vom 20.2.2019 - L 7 AS 2024/18 B = juris RdNr 13).
Tenor
Auf die Beschwerde des Beklagten wird der Beschluss des Sozialgerichts Halle vom 4. Mai 2021 aufgehoben. Das Verfahren ist weiterhin beim Sozialgericht Halle anhängig.
Die Kostenentscheidung bleibt dem Hauptsacheverfahren vorbehalten.
Die weitere Beschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Der Beklagte und Beschwerdeführer (im Folgenden: Beklagter) wendet sich gegen einen Beschluss des Sozialgerichts Halle, mit dem dieses den Rechtsweg zum Verwaltungsgericht Halle für zulässig erklärt hat. In der Sache ist die Festsetzung einer Mahngebühr durch den Beklagten im Zusammenhang mit der Erstattung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) streitig.
Der Beklagte ist ein zugelassener kommunaler Träger im Sinne von § 6a SGB II. Der 1972 geborene Kläger bezog von ihm gemeinsam mit seiner Familie als Bedarfsgemeinschaft (ergänzende) Leistungen nach dem SGB II. Mit mehreren Erstattungsbescheiden aus den Jahren 2015 bis 2017 (nach Aufhebungsbescheiden und endgültiger Festsetzung von vorläufig bewilligten Leistungen) forderte der Beklagte den Kläger zur Rückzahlung der verschiedenen Beträge auf. Der Kläger erhob dagegen keine Klage. Trotz mehrerer Zahlungserinnerungen aus den Jahren 2016 und 2017 beglich er die Forderungen nicht.
Mit Mahnung vom 26. Januar 2018 erinnerte der Beklagte den Kläger an die offenen Forderungen von insgesamt 1.142,82 € und setzte eine Mahngebühr von 22,50 € fest. Er forderte ihn „letztmalig“ auf, die offenen Forderungen von insgesamt 1.165,32 € zu den Kassenzeichen
|
ALG-073438-15 |
über 542,83 €, |
ALG-073440-15 |
über 204,65 €, |
ALG-117033-17 |
über 295,51 €, |
ALG-117034-17 |
über 70,75 €, |
M523P8482 |
über 4,18 €, |
VK 108870 03.11 |
über 25,00 € |
sowie die Mahngebühr von 22,50 € bis zum 9. Februar 2018 zu begleichen. Sonst müsse er die Zwangsvollstreckung beauftragen, die weitere Kosten verursache.
Den gegen die festgesetzte Mahngebühr gerichteten Widerspruch des Klägers vom 28. Februar 2018 wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 23. April 2018 als unbegründet zurück: Die Festsetzung der Mahngebühr beruhe auf § 4 des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes des Landes Sachsen-Anhalt (VwVG LSA) i. V. m. § 2 der Kostenordnung zum VwVG LSA.
Dagegen hat der Kläger am 23. Mai 2018 Klage vor dem Sozialgericht Halle (SG) erhoben, die er nicht begründet hat.
Das SG hat nach Anhörung der Beteiligten den zu ihm beschrittenen Rechtsweg für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit mit Beschluss vom 4. Mai 2021 an das Verwaltungsgericht Halle verwiesen: Der grundsätzlich vorgesehene allgemeine Verwaltungsrechtsweg sei nicht durch § 51 Abs. 1 Nr. 4a Sozialgerichtsgesetz (SGG) ausgeschlossen. Die Festsetzung von Mahngebühren sei eine Vollstreckungsmaßnahme und beruhe auf § 66 Abs. 3 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) in Verbindung mit den Vorschriften des VwVG LSA. Soweit sich der Kläger gegen die Modalitäten der Vollstreckung wende, sei der Bezug zur Sachmaterie, auf der die zu vollstreckende Forderung beruht, nicht eng genug, um eine Zuweisung zu den Sozialgerichten zu begründen. Die Vollstreckung von Geldforderungen und die Festsetzung von Mahngebühren weise keinen Bezug zum SGB II auf.
Gegen den ihm am 7. Mai 2021 zugestellten Beschluss hat der Beklagte am 7. Juni 2021 Beschwerde eingelegt: Bei der Mahnung vom 26. Januar 2018 habe es sich nicht um eine Vollstreckungshandlung, sondern erst um eine die Vollstreckung ermöglichende Maßnahme gehandelt. Die Festsetzung der Mahngebühr sei durch ihn als Vollstreckungsanordnungsbehörde erfolgt, weshalb der Sozialrechtsweg eröffnet sei.
Der Beklagte beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen,
den Beschluss des Sozialgerichts Halle vom 4. Mai 2021 aufzuheben.
Der Kläger hat sich zum Verfahren nicht geäußert.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die beigezogene Gerichtsakte nebst Verwaltungsakte des Beklagten ergänze...