Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Ablehnung eines ärztlichen Gutachters wegen Besorgnis der Befangenheit

 

Orientierungssatz

1. Ein Sachverständiger kann aus denselben Gründen, die zur Ablehnung eines Richters berechtigen, abgelehnt werden. Ein Richter kann wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen dessen Unparteilichkeit zu rechtfertigen.

2. Eine wirtschaftliche Verflechtung des medizinischen Gutachters mit gesetzlichen und privaten Unfallversicherern allein rechtfertigt nicht die Besorgnis der Befangenheit.

3. Selbst dann, wenn eine wirtschaftliche Abhängigkeit des Gutachters von Versicherungsgesellschaften und Berufsgenossenschaften vorliegt, stellt dies keinen Grund für die Besorgnis der Befangenheit dar. Auch ein häufiges Tätigwerden für den konkreten Prozessgegner des Klägers reicht für die Besorgnis der Befangenheit nicht aus, wenn insoweit eine wirtschaftliche Unabhängigkeit besteht.

4. Auch dann, wenn im vorausgegangenen Klageverfahren der vom Gericht beauftragte Sachverständige vom Prozessgegner des Klägers als Gutachter vorgeschlagen wurde, stellt dies keinen Grund zur Annahme eines kollusiven Zusammenwirkens dar. Das Gericht ist nicht gehindert, ein vom Leistungsträger beigezogenes Gutachten zu verwerten und auch den bereits von der Verwaltungsbehörde gehörten Sachverständigen zum gerichtlichen Sachverständigen zu benennen.

 

Tenor

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Magdeburg vom 3. Februar 2011 wird zurückgewiesen.

 

Gründe

I.

Die vorliegende Beschwerde richtet sich gegen den Beschluss des Sozialgerichts Magdeburg vom 3. Februar 2011, mit dem die Ablehnung des gerichtlich bestellten Sachverständigen Dr. S. wegen Besorgnis der Befangenheit für unbegründet erklärt worden ist.

Im Rahmen der Klage zur Feststellung der Folgen eines Arbeitsunfalls vom 13. November 2003 unter Einschätzung des Grades der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) der Klägerin hat das Sozialgericht Magdeburg zur medizinischen Ermittlung mit Beweisanordnung vom 29. Oktober 2010 Dr. H. S. nach § 106 Abs. 3 Nr. 5, Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zum Sachverständigen ernannt.

Gegen diesen Sachverständigen hat die Klägerin am 30. November 2010 einen Ablehnungsantrag gestellt, weil er im Auftrag von Versicherungsgesellschaften und Berufsgenossenschaften tätig und deshalb von diesen Auftraggebern wirtschaftlich abhängig sei. Im Übrigen sei dieser Sachverständige aus demselben Grunde am 15. Januar 2004 vom Landgericht Köln (Az. ) abgelehnt worden. Mit am 20. Januar 2011 eingegangenem Schreiben hat die Klägerin vorgeschlagen, Prof. Dr. K. mit der Erstellung eines unfallchirurgischen Gutachtens zu beauftragen.

Das Sozialgericht Magdeburg hat mit Beschluss vom 3. Februar 2011 den Ablehnungsantrag gegen den Sachverständigen Dr. S. für unbegründet erklärt, weil kein objektiver Ablehnungsgrund erkennbar sei. Nahezu alle Gutachter, die im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung vom Gericht bestellt würden, arbeiteten auch für die Versicherungswirtschaft und die Unfallversicherungsträger. Es gäbe im Gerichtsbezirk nur eine begrenzte Anzahl von Gutachtern, die sich mit der unfallversicherungsrechtlichen Kausalitätslehre und der MdE-Bewertung adäquat auseinandersetzen könnten. Auch bei dem von der Klägerin benannten Gutachter werde nicht erklärt, dass dieser nicht für die Versicherungswirtschaft bzw. Unfallversicherungsträger tätig sei. Der Umstand, dass der Prozessbevollmächtigte der Klägerin in einem Parallelverfahren, bei dem Dr. S. ein Gutachten erstellt hatte, unterlegen sei, sei unbeachtlich.

Gegen den am 15. Februar 2011 zugestellten Beschluss hat die Klägerin am 15. März 2011 beim Sozialgericht Magdeburg Beschwerde eingelegt. Grund für den Ablehnungsantrag sei nicht allein die Arbeit des Sachverständigen für die Versicherungswirtschaft und die gesetzlichen Unfallversicherungsträger, sondern die vorgenannte Entscheidung des Landgerichts K. vom 15. Januar 2004. Diese Entscheidung habe bei ihr die Besorgnis der Befangenheit hervorgerufen.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

den Beschluss des Sozialgerichts Magdeburg vom 3. Februar 2011 aufzuheben und den Sachverständigen Dr. S. wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen.

Die Beklagte stellt keinen ausdrücklichen Antrag, trägt aber vor, dem Gutachter als unabhängigen Sachverständigen könne kein Parteiverhalten unterstellt werden. Daher sei dem Ablehnungsantrag nicht zu folgen.

Der Senat hat Dr. S. Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben, der am 18. April 2011 erklärt hat: Er sei weiterhin bereit, im zugrunde liegenden Verfahren vor dem Sozialgericht Magdeburg als gerichtlicher Sachverständiger tätig zu werden. Zum Ablehnungsgesuch hat er darauf hingewiesen, er sei ausschließlich gutachtlich tätig. Die klägerseitige Unterstellung, er könne regelmäßig mit Aufträgen rechnen, wenn er Gefälligkeitsgutachten erstelle, sei wirklichkeitsfremd, da die Auftraggeber kein Interesse an einem "Parteigutacht...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge