Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Ablehnung eines Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit. häufiges Tätigwerden für private Unfallversicherungen und Berufsgenossenschaften

 

Orientierungssatz

1. Bei dem vom Gericht ernannten Sachverständigen ist ein Vertrauen der Prozessparteien in seine Integrität und Unparteilichkeit Voraussetzung für ein allseits als ordnungsgemäß empfundenes Verfahren.

2. Die erfolgreiche Ablehnung eines Sachverständigen bewirkt, dass er nicht herangezogen wird oder dass das von ihm erstattete Gutachten vollständig nicht verwertet wird.

3. Von der Rechtsprechung wird teilweise verneint, dass nicht einmal ein häufiges Tätigwerden für einen Prozessbeteiligten für die Besorgnis der Befangenheit ausreicht, wenn insoweit eine wirtschaftliche Unabhängigkeit besteht. Bei wirtschaftlicher Abhängigkeit sind jedoch aus Sicht des Beteiligten Zweifel gerechtfertigt, dass eine wirklich unabhängige Begutachtung erfolgt. Damit besteht ein Ablehnungsgrund wegen Befangenheit.

4. Die werbende Tätigkeit eines Instituts für medizinische Begutachtung rechtfertigt keine Befangenheitsbesorgnis. Das gilt erst recht dann, wenn das Institut für eine Vielzahl von Auftraggebern tätig ist.

 

Tenor

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Chemnitz vom 15.09.2009 wird zurückgewiesen.

 

Gründe

I:

Die Beschwerde richtet sich gegen einen Beschluss des Sozialgerichts Chemnitz, mit welchem dieses die Ablehnung des Sachverständigen Dr. A wegen Besorgnis der Befangenheit für unbegründet erklärt hat. Streitig sind die Folgen eines Arbeitsunfalls vom 14.07.2004. Streitig ist insbesondere, ob

- ein ausgeprägtes zervikozephales Syndrom mit Nacken- und Hinterkopfbeschwerden,

- eine zervikobrachiales Syndrom Areal C6/C7 mit neurologischen Defiziten,

- Bewegungseinschränkungen und Schmerzen der Halswirbelsäule,

- deutliche Reduktion der Alltagsleistungsfähigkeit,

- sensible Ataxie und Stereodysgnosie am 2.-4. Finger rechts,

- Schwindelgefühl und Übelkeit bei Drehbewegungen des Halses

Unfallfolgen sind.

Im gegen die ablehnenden Bescheide der Beklagten angestrengten Klageverfahren vor dem Sozialgericht Chemnitz wurde zunächst eine neurologisches Gutachten bei Frau Dr. B eingeholt, außerdem war beabsichtigt, Dr. C zum Sachverständigen auf unfallchirurgischem Gebiet zu ernennen.

Die Klägerin wandte daraufhin ein, dass Dr. C in einer Powerpointpräsentation folgende “gutachterliche Bewertung„ abgegeben habe: “Wichtigster Kofaktor - Hauptbedingung in den meisten Fällen der leichten HWS-Distorsion - ist … das Versichertsein und die unbewusste oder bewusste Erwartung einer Entschädigung.„ In der Zusammenfassung heißt es dann: “Sigmund Freud: … im Hintergrund wirkt ein selbstsüchtiges, nach Schutz und Nutzen strebendes Ich-Motiv, das erst ruht, nachdem eine Entschädigung erreicht oder diese endgültig abgelehnt wurde.„.

Das Sozialgericht änderte daraufhin die Beweisanordnung vom 27.05.2009 dahingehend ab, dass statt C auf unfallchirurgischem Sachgebiet nunmehr Dr. A, K…… zum Sachverständigen ernannt werde.

Daraufhin wurde Dr. A wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Die Ablehnung wurde damit begründet, dass Dr. A nach dem Kenntnisstand der Klägerin ausschließlich für die Versicherungswirtschaft, sei sie privat oder sozialversicherungsrechtlich organisiert, tätig sei. Hierbei würden tatsächlich bestehende Beschwerdebilder durch den Sachverständigen A regelmäßig unter Bezugnahme auf die Begriffe Adaptionskausalität oder Belastungskonformität abgelehnt. Diese Vorgehensweise sei nicht durch medizinische Erfahrungssätze, die auf wissenschaftlicher Grundlage basierten und von den beteiligten Fachkreisen überwiegend akzeptiert würden, gedeckt. Vorgelegt wurde der Aufsatz “Strategie und Taktik„ - Die LWS-Bandscheibenschäden im Spiegel der orthopädischen Deutung und Rechtsprechung -. Dort heißt es u. a.:

… schließlich befragt, auf welche Erkenntnisse welche epidemiologischen und/oder klinischen Studien mit wie vielen StudienteilnehmernInnen er seine Adaptionslehre stütze und wie sie sich - vor allem die dort gewonnenen Befunde prozentual auf die LWS und BWS verteilen, musste A eingestehen: “Es gibt keine Studien. Dass ein belastungskonformes Schadensbild entstehen muss, ist Ergebnis meiner Überlegungen„. Auf verblüffte Nachfrage aus dem Publikum der versammelten Orthopäden, Arbeits- und Gewerbemediziner, Sozialrichter etc., wie das von ihm propagierte belastungskonforme Schadensbild in klinisch-orthopädischen Studien beschrieben sei und ob nicht wenigstens er selbst eine klinische Studie durchgeführt habe, auf die er sich berufen könne, bekräftigte A laut und vernehmlich coram publico: “Es gibt keine klinischen Studien, auch nicht aus meinem Institut„.

Das Sozialgericht hat die Ablehnung mit Beschluss vom 15.09.2009 für unbegründet erklärt.

Nach § 118 Abs. 1 SGG i. V. m. § 406 Abs. 1 Satz 1, 42, Abs. 1 und Abs. 2 ZPO könne ein gerichtlich bestellter Sachverständiger aus denselben Gründen, die zur Ablehnung eines Richters be...

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