Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsberechtigter. Hilfebedürftigkeit. Verpflichtung zur Vorlage ungeschwärzter Kontoauszüge zur Prüfung der Leistungsvoraussetzungen. Ausübung einer selbstständigen Tätigkeit. Geltendmachung des Schutzes von Kundendaten
Leitsatz (amtlich)
Der Pflicht, ungeschwärzte Kontoauszüge zur Prüfung des Leistungsanspruchs vorzulegen, können sich selbständig tätige Leistungsbezieher nicht durch eine Berufung auf den gegenüber ihren Kunden zu leistenden Datenschutz entziehen.
Tenor
Die Beschwerden werden zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Die Antragstellerin begehrt im Wege von Eilrechtsverfahren die vorläufige Bewilligung von Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit von Dezember 2021 bis Oktober 2022.
Die 1970 geborene, alleinstehende Antragstellerin bewohnt ein ihr gehörendes Eigenheim. Sie geht seit April 2019 einer selbstständigen Tätigkeit nach (Coaching und Consulting sowie Haushaltshilfe). Sie bezog bis 31. Oktober 2021 vom Antragsgegner Leistungen nach dem SGB II.
Unter dem 19. Dezember 2021 stellte die Antragstellerin einen erneuten Antrag auf Gewährung von SGB II-Leistungen. Sie gab in ihrer vorläufigen EKS an, sie werde wegen der Höhe der Betriebsausgaben [(Farb-)Laserdrucker, Stapelscanner, Monitor, Smartphone] kein Einkommen aus der selbstständigen Tätigkeit erzielen.
Unter dem 28. Dezember 2021 forderte der Antragsgegner die Einreichung weiterer Kontoauszüge. Diese reichte die Antragstellerin unter dem 31. Dezember 2021 nach. Die Kontoauszüge ihres Privatgirokontos bei der D.. Bank vom 1. April 2021 bis 2. Januar 2022 waren hinsichtlich der Empfänger getätigter Überweisungen geschwärzt. Die bereits bei Antragstellung eigereichten Kontoauszüge des Geschäftskontos bei der C.... Bank vom 1. April bis 16. September 2021 sowie die unter dem 31.Dezember 2021 eingereichten Kontoauszüge für die Zeit vom 1. Oktober 2021 bis 1. Januar 2022 wiesen Einnahmen aus. Die Daten der Zahlungsanweisenden und der Verwendungszweck waren geschwärzt.
Der Antragsgegner forderte die Antragstellerin unter dem 4. Januar 2022 auf, bis zum 18. Januar 2022 unter anderem ungeschwärzte Kontoauszüge vorzulegen. Eine vollständige Prüfung könne wegen der Schwärzung nicht erfolgen. Er wies auf die Rechtsfolgen fehlender Mitwirkung nach § 66 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (Allgemeiner Teil - SGB I) hin. Dem Schreiben fügte er zum wiederholten Male ein Merkblatt zur Anforderung von Kontoauszügen bei.
Unter dem 13. Januar 2022 gab die Antragstellerin hinsichtlich der Schwärzungen in den Kontoauszügen an, sie wisse nicht, wozu der Antragsgegner die Kundendaten benötige. Sie werde nicht die Privatsphäre ihrer Kunden verletzen. Sie reichte keine weiteren Unterlagen ein.
Mit Bescheid vom 1. Februar 2022 lehnte der Antragsgegner den Antrag der Antragstellerin vom 19. Dezember 2021 auf Gewährung von SGB II-Leistungen für den Zeitraum vom 1. Dezember 2021 bis 31. Mai 2022 wegen nicht nachgewiesener Hilfegebedürftigkeit ab. Die Antragstellerin sei verpflichtet glaubhaft zu machen, dass sie tatsächlich hilfebedürftig sei. Hierzu gehöre es, notwendige Unterlagen oder Bestätigungen vorzulegen, die glaubhaft machen könnten, dass eventuelle Vermögensbestände oder Einkommen nicht vorhanden seien. Diesen Mitwirkungspflichten sei sie nicht nachgekommen. Die ungeschwärzten Kontoauszüge seien jedoch zur vollständigen Prüfung ihres Anspruchs notwendig gewesen.
Unter dem 7. Februar 2022 legte die Antragstellerin gegen den Ablehnungsbescheid Widerspruch ein. Die Antragsunterlagen habe sie vollständig eingereicht. Bei den Kontoauszügen habe sie lediglich die Daten geschwärzt, die für die Bewilligung der Leistungen irrelevant seien. Der Kontostand sei klar erkennbar gewesen. Die Forderung illegaler Datenweitergabe ohne jeden Bezug zur Bewilligung von Arbeitslosengeld II sei rechtswidrig.
Der Antragsgegner forderte die Antragstellerin unter dem 22. Februar 2022 nochmals auf, bis zum 9. März 2022 unter anderem ungeschwärzte Kontoauszüge für die letzten 3 Monate einzureichen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 10. Mai 2022 wies der Antragsgegner den Widerspruch als unbegründet zurück. Das Bundessozialgericht (BSG) schließe Kontoschwärzungen auf der Einnahmeseite gänzlich aus. Bei Ausgaben dürften nur Positionen geschwärzt werden, die Angaben über rassische und ethnische Herkunft, politische Meinung, religiöse oder philosophische Überzeugungen, Gewerkschaftszugehörigkeit, Gesundheit oder Sexualleben enthielten. Durch die erfolgten Schwärzungen seien die tatsächlichen Einkommensverhältnisse und der Bedarf nicht ermittelbar und mithin die Hilfebedürftigkeit nicht nachgewiesen.
Am 13. Juni 2022 hat die Antragstellerin Klage erhoben. Sie verfolgt ihr Ziel, vom Antragsgegner für die Zeit von Dezember 2021 bis Mai 2022 Leistungen zu erhalten, weiter. Im Übrigen seien ihre Ausgaben für den Erwerb der Fahrerlaubnis und des Autos (500 €) vollumfä...