Entscheidungsstichwort (Thema)
Anerkennung einer im Beitrittsgebiet erlittenen berufsbedingten Hörschädigung als Berufskrankheit nach Nr. 50 der Liste zur Berufskrankheitenverordnung der DDR
Orientierungssatz
1. Die Fortgeltung des DDR-Rechts im Beitrittsgebiet dient der zeitlich befristeten Wahrung eines in der DDR etablierten rechtlichen Status bis zur endgültigen Überleitung des Unfallversicherungsrechts. Verwaltungsakte der DDR, die auf deren Verwaltungspraxis beruhen, bleiben nach Maßgabe von Art. 19 des Einigungsvertrages wirksam, vgl. BSG, Urteil vom 04. Dezember 2001 - B 2 U 35/00 R.
2. Erforderlich für die Anerkennung einer Schwerhörigkeit mit sozialer Bedeutung als durch Lärm verursachte Berufskrankheit ist nach Nr. 50 der 1. DVO zur BKVO-DDR vom 21. 4. 1981, dass die Hörschädigung zu Verständigungsschwierigkeiten mit anderen Personen führt.
3. Bei einer Lärmeinwirkung mit einem Lärm-Beurteilungspegel von 85 bis über 90 Dezibel kann grundsätzlich eine berufsbedingte Hörschädigung entstehen.
4. Eine Schwerhörigkeit mit sozialer Bedeutung war dann gegeben, wenn nach den Ergebnissen der audiometrischen Untersuchung ein Körperschaden von mindestens 20 % resultierte. Maßgeblich für die Einschätzung des Körperschadens ist gemäß § 215 Abs. 6 SGB 7 i. V. m. § 1154 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 RVO die Regelung des § 56 SGB 7. Der Grad des Körperschadens entspricht regelmäßig demjenigen der MdE.
5. Wenn die Berechnung des prozentualen Hörverlustes nach dem Sprachaudiogramm unter Verwendung des Gesamtwortverstehens einen Wert von weniger als 20 % ergibt, ist noch das Tonaudiogramm heranzuziehen.
6. Wird die nach § 56 SGB 7 maßgebliche MdE-Bemessung von 20 % nicht erreicht, so fehlt es an einem bewiesenen Körperschaden von 20 % zum Zeitpunkt des Expositionsendes und damit an einer sozialen Bedeutung i. S. der BK 50 BKVO-DDR. Damit eine Anerkennung des Gehörschadens als BK ausgeschlossen.
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Magdeburg vom 6. August 2004 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander auch im Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Rechtsstreit betrifft die Frage, ob bei dem Kläger wegen Hörverlusten eine Berufskrankheit (BK) nach Nr. 50 der Liste der BK‚en zur Verordnung über die Verhütung, Meldung und Begutachtung von BK‚en der DDR - Lärm, der Schwerhörigkeit mit sozialer Bedeutung verursacht, wobei eine soziale Bedeutung vorliegt, wenn die Hörschädigung zu Verständigungsschwierigkeiten mit anderen Personen führt - (BK 50 BKVO-DDR) anzuerkennen ist.
Der 1935 geborene Kläger war seit dem 1. September 1950 bis zum 20. Dezember 1991 als Baggerfahrer und Schlosser beim VEB St. H. (ab 1. Januar 1968 als VEB Z. bezeichnet, zuletzt nach der Privatisierung H. B. GmbH) beschäftigt. Vom 21. Dezember 1991 bis zum 31. Dezember 1995 befand er sich im Vorruhestand. Seit dem 1. Januar 1996 bezieht er eine Altersrente.
Am 11. Juli 2002 erstattete der Facharzt für Allgemeinmedizin und Arbeitsmedizin S. der Beklagten formlos eine Verdachtsmeldung bezüglich einer BK Lärmschwerhörigkeit. Er fügte einen Befundbericht des Facharztes für HNO-Heilkunde Dr. Sch. vom 24. Mai 2002 bei. In diesem Befundbericht diagnostizierte Dr. Sch. eine mittelgradige Schallempfindungsschwerhörigkeit beiderseits, eine Lärmschwerhörigkeit beiderseits sowie einen Zustand nach Hörgeräteversorgung. Die Art der Schwerhörigkeit spreche im Zusammenhang mit der Berufsanamnese eindeutig für eine Lärmschwerhörigkeit. Unterstützt werde dies dadurch, dass das Gehör seit 1996, als keine Lärmexposition mehr stattgefunden habe, auch nicht schlechter geworden sei. Unter dem 13. September 2002 erstattete auch Dr. Sch. eine ärztliche Anzeige über eine BK.
Ausweislich der Arbeitsplatzlärmanalyse der Beklagten vom 30. Oktober 2002 war der Kläger während seines Berufslebens über 35 Jahre einer Lärmeinwirkung von 80 dB bis über 90 dB ausgesetzt gewesen. Diese Lärmexposition sei geeignet, eine Lärmschwerhörigkeit hervorzurufen.
Bereits unter dem 18. Juli 1989 hatte der Facharzt für HNO-Krankheiten K. G. eine ärztliche Meldung über den Verdacht einer BK erstattet. Unter dem 3. August 1989 hatte auch der Betrieb den Verdacht einer BK gemeldet. Der Klinikdirektor der Klinik für H.-, Nasen-, O. der Med. A. M. Prof. Dr. P. -E. sowie der Oberarzt Dr. B. hatten unter dem 13. Juni 1990 ein Gutachten zur Frage einer eventuellen BK 50 BKVO-DDR für die Arbeitshygieneinspektion des Rates des Bezirkes M. nach einer Untersuchung des Klägers am 6. April 1990 erstellt. Darin hatten die Ärzte ausgeführt, bei dem Kläger handele es sich um eine beidseitige geringgradige Innenohrschwerhörigkeit von hochtonalem Charakter. Aufgrund der klinischen, anamnestischen und röntgenologischen Erhebungen sei eine entzündliche oder hereditäre (erbliche) Ursache dieser Schwerhörigkeit ausgeschlossen. Da der Kläger über einen längeren Zeitraum im Lärm gearbeitet habe, sei diese Innenohrschwerhörigkeit beidseits als b...