Entscheidungsstichwort (Thema)

Berufskrankheit: Lärmschwerhörigkeit. MdE. ehemalige DDR. Zeitpunkt

 

Orientierungssatz

1. Unter dem Merkmal "der sozialen Bedeutung" wurden in der ehemaligen DDR sprachliche Verständigungsschwierigkeiten verstanden, die mit einem Grad des Körperschadens (GdK) von 20 vH zu bewerten waren. Gemäß der Richtlinie zur Begutachtung von arbeitsbedingten Hörschäden zur BK-Nr 50 (in: Verfügung und Mitteilung des Ministeriums für Gesundheitswesen (1989) Nr 6 S 57 - abgedruckt in der Schriftenreihe der Bundesanstalt für Arbeitsmedizin, Sonderschrift 4, "Berufskrankheiten im Gebiet der neuen Bundesländer" (1945-1990), S 269 ff) können Ohrgeräusche, wenn sie als spontan und belästigend geschildert werden, zwar bei der Einschätzung des GdK mit maximal 10 vH einbezogen werden. Voraussetzung hierfür ist jedoch ein bereits vorliegender Körperschaden in Höhe von 20 vH allein aufgrund der Höhe des Hörverlustes.

2. Der Zeitpunkt des § 551 Abs 3 S 2 RVO ist nur maßgebend für den Eintritt des sogenannten Leistungsfalles, nicht jedoch für den Eintritt des Versicherungsfalles (vgl BSG vom 27.7.1989 - 2 RU 54/88 = SozR 2200 § 551 aaO). Diese Vorschrift normiert daher kein "Günstigkeitsprinzip" hinsichtlich des anwendbaren Rechts zur Prüfung des Vorliegens einer Berufskrankheit.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob bei dem Kläger eine Schwerhörigkeit als Berufskrankheit anzuerkennen ist und Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren sind.

Der am 1937 geborene Kläger war zunächst nach Absolvierung einer Bäckerlehre als Bäcker, kurzfristig als Rangierer und Elektrohilfsmonteur in W tätig. Vom 25. Juli 1958 bis zum 14. Juni 1969 arbeitete er als Schmiedehelfer bzw. als Schmied beim VEB Preß- und Schmiedewerk "Hein Fink" in W. Vom 16. Juni 1969 bis zum 30. Juni 1991 war der Kläger dann bei der Deutschen Seebaggerei, der späteren Bagger-, Bugsier- und Bergungsreederei GmbH, in R als Technischer Offizier (Maschinist) versicherungspflichtig beschäftigt. Anschließend arbeitete er als sogenannte ABM-Kraft in der Küstenlandschaftspflege für denselben Betrieb vom 05. August 1991 bis 31. Juli 1993. Seitdem befindet sich der Kläger im Vorruhestand.

Der HNO-Facharzt Dr. S aus R übersandte dem Gewerbeaufsichtsamt R eine ärztliche Meldung über eine Berufskrankheit bzw. den Verdacht des Vorliegens einer Berufskrankheit vom 17. Mai 1991 und fügte dieser Anzeige zahlreiche Tonaudiogramme über Untersuchungen des Klägers aus den Jahren 1969 bis 1991 bei. In der Meldung gab er an, daß seine Untersuchung vom 15. Mai 1991 ergeben habe, daß bei dem Kläger eine Lärmschwerhörigkeit als Berufskrankheit vorliege. Das Gewerbeaufsichtsamt R leitete diese Unterlagen an die See-Berufsgenossenschaft (See-BG) in R weiter. Nach Auswertung der von Dr. S übersandten Tonschwellenaudiogramme vertrat der Arzt Dr. H (Arzt der Gesundheitsabteilung der See-BG) die Auffassung, daß das vorliegende Tonschwellenaudiogramm vom 15. Mai 1991 beidseits den eindeutigen Befund einer Innenohrschwerhörigkeit im Sinne eines beruflich verursachten Lärmschadens zeige. Hinsichtlich der Frage des Vorliegens eines Versicherungsfalles bereits vor dem 01. Januar 1991 zeige das Audiogramm vom 23. Januar 1989 gegenüber dem letztgenannten Audiogramm einen identischen Befund; der Hörverlust von wahrscheinlich versicherungsrechtlicher Relevanz habe also auf jeden Fall auch schon am 23. Januar 1989 vorgelegen. Daraufhin gab die See-BG den Vorgang an die Beklagte mit der Begründung ab, aufgrund des im Einigungsvertrag festgelegten Verteilungsschlüssels sei sie zuständiger Unfallversicherungsträger.

Auf Anforderung der Beklagten erstattete der letzte Arbeitgeber des Klägers, die Bagger-, Bugsier- und Bergungsreederei GmbH, eine Anzeige über das Vorliegen einer Berufskrankheit (Eingang bei der Beklagten am 18. Mai 1992). In dieser Anzeige hieß es unter anderem, beim Kläger bestehe der Verdacht einer Lärmschwerhörigkeit aufgrund seiner Tätigkeit als Leitender Technischer Offizier vom 01. Juni 1968 bis 30. Juni 1991. Der Kläger habe erstmals am 08. Mai 1980 über Hämmern in den Ohren und eine Schwerhörigkeit geklagt. In einer ergänzenden Stellungnahme von 07. April 1992 wurde seitens des Arbeitgebers als Lärmquellen "Dieselantriebsaggregate unterschiedlicher Fabrikate, Baujahre und Typs" angegeben. Der Kläger habe die lärmverursachenden Geräte selbst bedient, wobei die Lärmeinwirkung an 12 Tagen im Monat bestanden habe. Die Beklagte zog vom Hausarzt des Klägers, des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. R weitere medizinische Unterlagen (u. a. Behandlungskarten, Tonaudiogramme vom 30. April 1969 und 23. Januar 1989) sowie von dem Arbeitgeber des Klägers weitere Tonschwellenaudiogramme bzw. Unterlagen über eine Dispensairebetreuung des Klägers aufgrund einer lärmgefährdeten Tätigkeit bei. Die Schiffssicherheitsabteilung der See-BG teilte auf Anfrage der Beklagten mit, daß Schalldruckpegelmessungen auf den schwimmenden Betrieben bei dem Arbe...

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