Entscheidungsstichwort (Thema)
Hinterbliebenenrentenanspruch. Widerlegung der gesetzlichen Vermutung einer Versorgungsehe. Versorgungsehe. besondere Umstände. Irrtum. Motiv
Leitsatz (amtlich)
1. Die gesetzliche Vermutung einer Versorgungsehe ist widerlegt, wenn zur vollen Überzeugung des Gerichts für die Eheschließung ein überwiegend anderes Motiv der Hinterbliebenen als das der Versorgung maßgeblich war.
2. Hat die Hinterbliebene in die Eheschließung eingewilligt, um dem Versicherten bei der Überwindung seiner schweren Erkrankung beizustehen, ist dies ein anderes Motiv als das der Versorgungsabsicht.
3. Unerheblich ist, ob der Verstorbene zum Zeitpunkt der Eheschließung unheilbar krank war, wenn er der Hinterbliebenen den Ernst der Erkrankung verschwiegen und diese irrtümlich an eine Heilungsmöglichkeit geglaubt hat.
Tenor
Das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 12. Mai 2005 wird aufgehoben und der Bescheid der Beklagten vom 3. Dezember 2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 18. Februar 2004 wird abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin große Witwenrente vom 1. September 2003 bis 31. August 2005 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu bewilligen.
Die Beklagte trägt die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Rechtszügen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Witwenrente nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Rentenversicherung - (SGB VI). Umstritten ist insbesondere das Vorliegen einer so genannten Versorgungsehe.
Die am 1952 geborene Klägerin ist die Witwe des am 1952 geborenen und am 2003 verstorbenen Versicherten (im Folgenden: Versicherter) W. B. . Vom 15. August 1992 bis zum 17. Mai 2003 war der Versicherte unter der Anschrift R. 45, 06112 H. , und danach in der H. -S. -Str. 22, H. , polizeilich gemeldet. Die Klägerin ist seit dem 1. Oktober 2001 in der H. -S. Str. 22, H. gemeldet. Die Eheschließung erfolgte am 20. Juni 2003 vor dem Standesbeamten der Stadt H. /S. . Die Klägerin war zu diesem Zeitpunkt als Taxifahrerin beschäftigt und hatte im Jahre 2002 ein Bruttoeinkommen von durchschnittlich 636,66 EUR sowie im August 2003 von 720,00 EUR erzielt. Der Versicherte war zuletzt seit 1991 als Kraftfahrer im Fernverkehr tätig gewesen und hatte lediglich unregelmäßig die Wochenenden am Wohnort verbracht.
Der Versicherte wurde am 22. April 2003 wegen Thoraxschmerzen in die Notaufnahme des Diakoniekrankenhauses H. /S. aufgenommen und zunächst bis zum 24. Mai 2003 stationär behandelt. Die am 23. und 25. April 2003 erfolgten Pleurapunktionen ergaben den dringenden Verdacht auf Malignität. Eine am 29. April 2003 durchgeführte Thorakoskopie ergab die Diagnose einer Pleurakarzinose rechts im Sinne eines undifferenzierten nichtkleinzelligen Karzinoms mit Leberfilia und Verdacht auf Nierenmetastasen beidseits. Ein Primärtumor konnte nicht identifiziert werden. Unter der Diagnose CUP-Syndrom (cancer of unknown primary) wurde eine Chemotherapie eingeleitet. Ausweislich eines in den Patientenakten des Diakoniekrankenhauses enthaltenen Gesprächsvermerks vom 12. Mai 2003 -mutmaßlich des Oberarztes Dr. L. -sei in einem nochmaligen Gespräch über den malignen Tumor und einen Behandlungsversuch mittels Chemotherapie bei unklarem Ansprechen, jedoch als einzige Möglichkeit der Besserung gesprochen worden. Eine Operation oder Bestrahlung könnten keine Besserung bringen, da es sich um ein fortgeschrittenes Leiden handele. Die Chemotherapie wurde zunächst vom 13. Mai bis zum 20. Mai 2003 durchgeführt und der Versicherte sodann in ambulante Weiterbehandlung entlassen. In der Patientenakte ist zu diesem stationären Aufenthalt als Anschrift des Versicherten die R. 45, H. , registriert.
Vom 2. bis 4. Juni und vom 9. bis 11. Juni 2003 wurde der Versicherte abermals stationär zur Fortsetzung der Chemotherapie behandelt. Insoweit ist in der Patientenakte als Anschrift des Versicherten die H. -S. -Straße 22, H. , vermerkt. Die Entlassung erfolgte in die ambulante Weiterbehandlung zur geplanten Fortsetzung der Chemotherapie am 23. Juni 2003. Der Versicherte begab sich vom 23. Juni bis 19. Juli 2003 abermals in stationäre Behandlung. Dort wurde nach der Aufnahme entschieden, die Chemotherapie abzubrechen. Gleichzeitig wurden zur Sicherstellung der häuslichen Pflege ein Rollstuhl, ein Sauerstoffgerät sowie ein häuslicher Pflegedienst verordnet. Ausweislich eines Gesprächsvermerks einer Mitarbeiterin der Sozialstation des Krankenhauses vom 18. Juli 2003 hatte der Versicherte angegeben, er wolle zu Hause zu Kräften kommen, allein zur Toilette gehen und mit dem Rollstuhl herumfahren können. Der Versicherte wurde im Folgenden mit Unterstützung der Sozialstation bis zu seinem Tod zu Hause gepflegt. Mit Bescheid der Pflegekasse der AOK Sachsen-Anhalt vom 25. September 2003 wurde rückwirkend die Pflegestufe II gewährt.
In ihrem Rentenantrag vom 23. September 2003 machte die Klägerin geltend, die tödlichen Folgen der Krankh...