Entscheidungsstichwort (Thema)

Rente wegen Todes aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Witwenrente. widerlegbare Vermutung. Versorgungsehe. kurze Ehedauer. Versorgungsabsicht. tödliche Erkrankung

 

Leitsatz (amtlich)

Bei der Heirat eines zum Zeitpunkt der Eheschließung offenkundig bereits an einer lebensbedrohlichen Krankheit leidenden Versicherten ist in der Regel von einer so genannten Versorgungsehe auszugehen. Jedoch ist auch bei einer nach objektiven Maßstäben schweren Erkrankung mit einer ungünstigen Verlaufsprognose und entsprechender Kenntnis der Ehegatten der Nachweis nicht ausgeschlossen, dass dessen ungeachtet (überwiegend oder zumindest gleichwertig) aus anderen als aus Versorgungsgründen geheiratet wurde. Allerdings müssen dann bei der abschließenden Gesamtbewertung diejenigen besonderen (inneren und äußeren) Umstände, die gegen eine Versorgungsehe sprechen, umso gewichtiger sein, je offenkundiger und lebensbedrohlicher die Krankheit des Versicherten zum Zeitpunkt der Eheschließung war (vgl BSG vom 5.5.2009 - B 13 R 55/08 R = BSGE 103, 99 = SozR 4-2600 § 46 Nr 6).

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 21.12.2020; Aktenzeichen B 13 R 170/19 B)

 

Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Rechtsstreit betrifft die Frage, ob die Klägerin einen Anspruch auf Witwenrente gemäß § 46 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches (Gesetzliche Rentenversicherung - SGB VI) hat.

Die am ... 1968 geborene Klägerin heiratete am 11. Juli 2014 nach Anmeldung bei der Gemeinde Sch. am ... 2014 den am ... 1958 geborenen Versicherten U. E., der seit dem 5. Mai 2014 aufgrund eines Bronchialkarzinoms arbeitsunfähig war. Am ... 2015 verstarb der Versicherte aufgrund dieser Erkrankung. Daraufhin beantragte die Klägerin am 10. Juni 2015 die Gewährung einer Hinterbliebenenrente. Sie gab in dem Antrag u.a. an, die tödlichen Folgen einer Krankheit seien bei der Eheschließung nach ärztlicher Auffassung nicht zu erwarten gewesen. Die Klägerin fügte ihrem Antrag den ärztlichen Bericht des Chefarztes Pneumologie und Palliativmedizin Dr. L. sowie des Facharztes für Innere Medizin Dr. M. (Klinik für Pneumologie, Thoraxchirurgie und Palliativmedizin im Diakoniekrankenhaus H.) vom 16. Juni 2015 bei. Darin ist ausgeführt, bei dem Versicherten sei im Mai 2014 die Diagnose eines fortgeschrittenen Bronchialkarzinoms (metastasierendes anaplastisches-kleinzelliges Bronchialkarzinom des linken Lungenunterlappens) gestellt worden. Die durchschnittliche Lebenserwartung bei dem metastasierten kleinzelligen Bronchialkarzinom betrage etwa zwölf Monate (20-40 %) nach Diagnosestellung. Bei gutem Ansprechen auf die Chemotherapie sei eine längere Überlebenszeit (bis zwei Jahre oder länger) möglich. Sowohl zum Zeitpunkt der Diagnosestellung im Mai 2014 als auch zu Beginn der second-line-Chemotherapie im Januar 2015 habe sich der Versicherte in einem sehr gutem Allgemeinzustand (Karnofskyindex 90 bis 100 %) befunden. Somit habe noch im Januar 2015 bei der Diagnostik des Rezidivs die Hoffnung auf ein erneutes Ansprechen des Tumorleidens auf die second-line-Chemotherapie und damit auf eine Verbesserung der Prognose geäußert werden können. Im März 2015, bei Nichtansprechen der socond-line-Chemotherapie, sei es zur deutlichen Verschlechterung des Befindens gekommen, womit bei dieser aggressiven Tumorerkrankung habe gerechnet werden müssen. Die aufgeführte durchschnittliche Lebenserwartung sei natürlich keine feste Variable. Es gebe Patienten, die bei gleichem Tumorstadium wesentlich länger überlebten, aber auch Patienten, die bereits nach elf Monaten nach der Diagnosestellung verstorben seien.

Mit Bescheid vom 17. Juli 2015 lehnte die Beklagte den Antrag auf Witwenrente ab, weil die Ehe mit dem Versicherten weniger als ein Jahr angedauert habe und die Rechtsvermutung des § 46 Abs. 2a SGB VI nicht entkräftet worden sei. Zur Begründung führte sie aus, insbesondere könne nicht geltend gemacht werden, dass die tödlichen Folgen der Krankheit im Zeitpunkt der Eheschließung aus ärztlicher Sicht nicht zu erwarten gewesen seien. Die Ehe sei vielmehr erst geschlossen worden, nachdem eine bösartige und potenziell lebensbedrohliche Erkrankung festgestellt worden sei. Die Anmeldung zur Eheschließung sei erst am 2. Juni 2014 und somit erst nach Erhalt der Diagnose erfolgt.

Dagegen legte die Klägerin am 17. August 2015 Widerspruch ein. Den Vorwurf und die Unterstellung, dass der Zweck der Eheschließung überwiegend die Erlangung der Hinterbliebenenrente gewesen sei, weise sie zurück. Sie habe mit dem Versicherten wundervolle zwölf gemeinsame Lebensjahre erleben dürften. Nachdem sie im November 2010 ihr Haus gekauft und ihre Tochter (im Erziehungsjahr ab August 2012) finanziell hätten unterstützen wollen, hätten sie 2014 den Bund der Ehe eingehen wollen. Dazu hätten sie am ... 2013 erstmalig die Hochzeitsmesse ... besucht. Gleichzeitig hätten sie sich die Örtlichkeiten angesehen. Laut Standesamt H. sei eine T...

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