Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Klage gegen eine Entscheidung der Schiedsstelle nach § 80 SGB 12. Einschätzungsprärogative der Schiedsstelle. Leistungserbringung durch eine zugelassene Pflegeeinrichtung. Übernahme gesondert berechneter Investitionskosten durch den Sozialhilfeträger. Nichtvorliegen einer entsprechenden Vergütungsvereinbarung. Weitergeltungsklausel des § 77 Abs 2 S 4 SGB 12. kein Schutz gegen Kostenabsenkung durch die Schiedsstelle. Verfassungsmäßigkeit
Leitsatz (amtlich)
1. Die Verpflichtung des Sozialhilfeträgers, überhaupt Investitionskosten nicht öffentlich geförderter Einrichtungen zu übernehmen, berührt - durch die Verdrängungswirkung für die nicht geförderte Einrichtung - den Bereich der in Art 12 Abs 1 GG geschützten Berufsfreiheit. Der Investitionsbetrag des Sozialhilfeträgers deckt die Kosten ab, die ein nicht im Leistungsbezug stehender Heimbewohner aus eigenen Mitteln bestreiten muss. Daher ist hier die Marktteilnahme der Pflegeeinrichtung gegen die Vorgabe der Sparsamkeit im Bereich der Sozialhilfe abzugrenzen. Neben dem tatsächlichen Leistungsangebot der Einrichtung ist auch der vom Sozialhilfeträger zu finanzierende Standard von Bedeutung. Dies steht der Übertragbarkeit der Rechtsprechung zu den angemessenen Investitionskosten, die Heimbewohner selbst nach dem SGB 11 zu tragen haben, entgegen.
2. Der Investitionsbetrag deckt die Kosten für betriebsnotwendige Anlagen und deren Ausstattung ab; betriebsnotwendig sind Anlagen und ihre Ausstattung, die eine Einrichtung benötigt, um die ihr durch das sozialhilferechtliche Leistungs- und Leistungserbringerrecht zugewiesenen Aufgaben erfüllen zu können.
3. Das Gesetz sieht keinen "Bestandsschutz" für die weitere Übernahme von Investitionskosten durch den Sozialhilfeträger in gleichbleibender Höhe vor. Die Weitergeltungsklausel in § 77 Abs 2 S 4 SGB 12 ist eine verfahrensrechtliche Lösung, um eine tatsächliche Verhandlungsposition der Einrichtung bei Neuverhandlungen zu sichern, beinhaltet aber keinen Schutz gegen eine Kostenabsenkung durch die Schiedsstelle.
Normenkette
SGB XII §§ 80, 77 Abs. 2 S. 4, Abs. 1 Sätze 4-6, § 75 Abs. 5 S. 3, § 82 Abs. 4 S. 1, § 76 Abs. 2 S. 4, § 97 Abs. 3 Nr. 2; AGSGB XII § 3 Nr. 2, § 4 Abs. 2 Nrn. 4-5; GG Art. 12 Abs. 1; SGG § 51 Abs. 1 Nr. 6a, § 29 Abs. 2 Nr. 1, § 57 Abs. 1 S. 1
Tenor
Die Klagen werden abgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten der Verfahren zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Schiedsstelle bei dem Ministerium für Arbeit und Soziales des Landes Sachsen-Anhalt (im Folgenden: Schiedsstelle) für die Zeit ab dem 6. Mai 2008 einen um 2,64 EUR höheren Investitionsbetrag (insgesamt 19,46 EUR) pro Pflegetag für Leistungsberechtigte nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (Sozialhilfe - SGB XII) hätte festsetzen müssen.
Die Klägerin betreibt eine nicht öffentlich geförderte Pflegeeinrichtung in einer Gemeinde mit circa 18.000 Einwohnern im Westen des Landes ... mit 149 Pflegeplätzen (bezogen auf sämtliche Gebäude). Seit September 2002 sind 81 Plätze der vollstationären Altenhilfe zugeordnet. Weitere 68 Pflegeplätze werden von einer im Jahr 2002 ausgegliederten unselbständigen Betriebsstätte der Klägerin für die Betreuung von Pflegebedürftigen mit leichter bis schwerer Demenz vorgehalten. Für sämtliche Plätze besteht eine Zulassung zur Pflege durch Versorgungsvertrag mit den Pflegekassen nach § 72 des Elften Buches Sozialgesetzbuch (Soziale Pflegeversicherung - SGB XI) unter Einbeziehung des Beklagten als überörtlichem Sozialhilfeträger. Auf die Leistungs- und Qualitätsvereinbarung vom 24. November 2006 für die Bereiche Altenpflege und Demenz - Bl. 115 bis 128 der Gerichtsakte L 8 SO 27/09 KL bzw. Bl. 113 bis 126 der Gerichtsakte L 8 SO 29/09 KL - wird im Übrigen Bezug genommen.
Die Klägerin war ursprünglich Eigentümerin auch des Grundstücks, der baulichen Anlagen und Außenanlagen der Einrichtung. Diese (im Folgenden als "Mietgegenstand" bezeichneten) Anlagen wurden ohne Zubehör im Jahr 2005 von der Klägerin an eine Gesellschaft mit Sitz in L. verkauft und von der Alleingesellschafterin der Klägerin im Rahmen des "Sale-and-Lease-Back" zu einer jährlichen "Nettoanfangsmiete" in Höhe von 949.639,00 EUR (mit vertraglich geregelter Anpassung zum Jahresanfang um 1 Prozent sowie an den Verbraucherpreisindex) ab Übergabe für 25 Jahre angemietet. Diese wiederum vermietete den Mietgegenstand zunächst ihrer Tochtergesellschaft weiter. Die Klägerin mietete von dieser Verwaltungsgesellschaft mit Vertrag vom 31. Januar 2006 ab diesem Tag auf 25 Jahre den Mietgegenstand zu einer jährlichen "Nettoanfangsmiete" in Höhe von 946.000,00 EUR (mit vertraglich geregelter Anpassung zum Jahresanfang um 1 Prozent sowie an den Verbraucherpreisindex). Der Vertrag regelt in § 7 Ziffer 7.1 Absatz 2 die Aufwendung eines Betrages in Höhe von 2,00 EUR pro Tag und Bett durch die Klägerin für Instandhaltungsmaßnahmen. Der Beklagte wurde erst im Jahr 2007...