Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld II. Unterkunft und Heizung. Nebenkostennachforderung für eine nicht mehr bewohnte Wohnung. durchgehender Leistungsbezug. frühere und aktuelle Wohnung beim gleichen Vermieter
Leitsatz (amtlich)
1. Nebenkostennachforderungen für eine Wohnung, die erst fällig geworden sind, nachdem diese nicht mehr bewohnt wird, können ein anzuerkennender Bedarf für Unterkunft und Heizung sein.
2. Voraussetzung ist aber, dass die leistungsberechtigte Person durchgehend von der tatsächlichen Entstehung der Nachforderung bis zur deren Fälligkeit hilfebedürftig nach dem SGB II war (Anschluss an BSG vom 30.3.2017 - B 14 AS 13/16 R = SozR 4-4200 § 22 Nr 92).
3. Die zusätzlich vom BSG verlangte existenzsicherungsrechtlich relevante Verknüpfung der Nebenkostennachforderung für die in der Vergangenheit bewohnte Wohnung mit dem aktuellen unterkunftsbezogenen Bedarf liegt insbesondere vor, wenn die neue Wohnung beim Vermieter der früheren Wohnung gemietet worden ist. Zahlungsschwierigkeiten können dann auf die gegenwärtigen Rechtsbeziehungen durchschlagen.
Tenor
Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Magdeburg vom 14. April 2022 sowie der Bescheid des Beklagten vom 17. August 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. November 2020 werden aufgehoben und der Beklagte verurteilt, an die Klägerinnen für Januar 2020 weitere Leistungen i.H.v. insgesamt 1.078,31 € zu zahlen.
Der Beklagte erstattet die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerinnen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Übernahme einer Nebenkostennachforderung für eine nicht mehr bewohnte Wohnung.
Die 1990 geborene Klägerin zu 1. bezog zusammen mit ihrer 2009 geborenen Tochter (der Klägerin zu 2.) im Jahr 2018 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II). Sie bewohnten eine 3-Zimmerwohnung (50 m²) in S., S-Straße.. Für diese berücksichtigte der Beklagte im Bescheid vom 29. November 2018 für den Zeitraum von Dezember 2018 bis November 2019 die tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung (KdUH) i.H.v. 284,50 €/Monat (Grundmiete 210,50 €, Nebenkosten 43 €, Heizkosten 31 €) zzgl. der Abfallgebühren. Eine Änderung ergab sich insoweit auch nicht durch die nachfolgenden Bescheide vom 15. Dezember 2018 (für Januar bis November 2019) und 23. Februar 2019 (für März bis November 2019).
Am 1. März 2019 beantragte die Betreuerin der Klägerin zu 1. den Umzug in eine andere Wohnung (J-Straße. in S.) und legte ein Mietangebot vor (KdUH i.H.v. 340,50 €/Monat). Der Beklagte lehnte mit bestandskräftigem Bescheid vom 29. April 2019 den Antrag auf Zusicherung der Übernahme der KdUH für die neue Wohnung ab. Der Umzug sei nicht erforderlich.
Die Betreuerin der Klägerin zu 1. reichte den Mietvertrag vom 20. Mai 2019 ab dem 1. Juni 2019 über die 3-Zimmerwohnung in der S.d.J. in S. (58 m², 4. Obergeschoss rechts) ein. Darin war eine Bruttowarmmiete i.H.v. 284,50 €/Monat (Grundmiete 210,50 €, Nebenkosten 43 €, Heizkosten 31 €) vereinbart. Der Vermieter war identisch mit dem bisherigen Vermieter. Der Beklagte gewährte diese KdUH, ein Änderungsbescheid erging aufgrund der unveränderten Bruttowarmmiete nicht.
Mit den Bescheiden vom 23. November 2019 und 22. Februar 2020 bewilligte der Beklagte Leistungen für den Zeitraum von Dezember 2019 bis November 2020. Er berücksichtigte weiterhin die tatsächlichen KdUH zzgl. der Abfallgebühren.
Am 29. November 2019 reichte die Klägerin zu 1. die Nebenkostenabrechnung für den Zeitraum von März bis Dezember 2018 für die vorherige Wohnung ein. Diese wies einen Nachzahlbetrag von 1.078,31 € aus. Die Zahlung des Betrages sollte bis spätestens zum 14. Januar 2020 erfolgen.
Mit Bescheid vom 5. Mai 2020 lehnte der Beklagte die Übernahme der Nebenkostennachzahlung für Februar 2020 ab. Den hiergegen gerichteten Widerspruch vom 13. Mai 2020 wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 7. August 2020 zurück. Der Widerspruch sei bereits unzulässig, da der Bescheid vom 5. Mai 2020 keine Regelung enthalte. Der Leistungsanspruch habe sich nicht geändert. Der Beklagte wertete den Widerspruch der Klägerin jedoch als Überprüfungsantrag, da die Fälligkeit der Nebenkostennachzahlung bereits im Januar 2020 vorgelegen habe (Vermerk vom 7. August 2020).
Mit Bescheid vom 17. August 2020 lehnte der Beklagte die Übernahme der Nebenkostennachzahlung für Januar 2020 ab. Es handele sich um Kosten einer Wohnung, die nicht mehr bewohnt werde. Es liege insoweit kein anzuerkennender Bedarf vor. Ein Ausnahmefall sei auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nicht anzuerkennen. Die Aufgabe der bisherigen Wohnung beruhe nicht auf der Erfüllung einer Kostensenkungsobliegenheit. Zudem sei keine Zusicherung hinsichtlich des Umzugs erteilt worden.
Den hiergegen gerichteten Widerspruch vom 4. September 2020 wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 25. November 2020 mit gleicher Begründ...