Entscheidungsstichwort (Thema)
Schwerbehindertenrecht: Voraussetzung der Zuerkennung des Merkzeichens “G„ bei einem hirnorganischen Anfallsleiden bzw. der Erblindung auf einem Auge
Orientierungssatz
1. Eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit eines Schwerbeschädigten, die die Zuerkennung des Merkzeichens “G„ für eingeschränkte Bewegungsfreiheit im Straßenverkehr rechtfertigt, ist bei einem hirnorganischen Anfallsleiden (hier. Epilepsie) erst ab einer mittleren Anfallshäufigkeit anzunehmen. Dies ist nicht der Fall, wenn zwischen einzelnen Anfällen jeweils Pausen von mehreren Monaten liegen.
2. Eine Erblindung auf einem Auge bei vollständiger Erhaltung der Sehkraft auf dem anderen Auge rechtfertigt für sich genommen keine Zuerkennung des Merkzeichens “G„ wegen erheblicher Beeinträchtigung der Bewegungsfreiheit.
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Umstritten ist die Entziehung der Merkzeichen "G" (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr) und "B" (Notwendigkeit ständiger Begleitung) ab ... 2005.
Der am ... 1978 geborene Kläger stellte erstmals am 6. Juli 1992 beim Versorgungsamt H. wegen einer Erblindung des linken Auges, Hormonstörungen und einer Tumorerkrankung im Kopf einen Antrag nach dem damaligen Schwerbehindertengesetz. Nach Durchführung von medizinischen Ermittlungen stellte das Versorgungsamt mit Bescheid vom 29. Oktober 1992 als Behinderungen psycho-organische Veränderungen bei operativ behandelter Hirnerkrankung, eine Sehbehinderung sowie Bluthochdruck fest und setzte den Grad der Behinderung (GdB) mit 60 fest. Merkzeichen wurden nicht zuerkannt. Eine im Juli 1994 veranlasste Nachuntersuchung ergab keine Änderung bei den gesundheitlichen Verhältnissen des Klägers. Am 4. Januar 1995 beantragte er einen höheren GdB wegen der hinzugetretenen Behinderung einer Epilepsie. Auf Anforderung des Versorgungsamtes erstattete der behandelnde Arzt des Klägers, Facharzt für Neurologie und Psychiatrie SR Dr. S., den Befundbericht vom 18. Januar 1995, dem zahlreiche weitere medizinische Unterlagen beigefügt waren. Im Bericht wird auf einen am 30. November 1994 erstmals in der häuslichen Umgebung aufgetretenen großen epileptischen Anfall mit fünfminütigem Bewusstseinsverlust hingewiesen. In der Folgezeit seien bis 12. Dezember 1994 weitere derartige Anfälle aufgetreten. Es handele sich um eine symptomatische Epilepsie als Folge der Operation eines Chiasmaglioms (Tumor im Bereich des Sehnervs). Unter Berücksichtigung einer kognitiven Leistungsminderung sei der gesundheitliche Zustand insgesamt verschlechtert. Nach Beteiligung des ärztlichen Dienstes stellte das Versorgungsamt H. mit Bescheid vom 15. Februar 1995 folgende Behinderungen fest: hirnorganischer Anfälle, psycho-organische Veränderungen bei operativ behandelter Hirnerkrankung, Sehbehinderung, Bluthochdruck und setzte den GdB nunmehr mit 90 fest. Merkzeichen wurden weiterhin nicht zuerkannt.
Mit dem Neufeststellungsantrag vom 3. August 1995 begehrte der Kläger die Prüfung, ob ihm nicht wegen einer Verschlechterung seines Gesundheitszustandes ein "Behindertenzeichen" auf dem Schwerbehindertenausweis eingetragen werden könne. Die daraufhin vom Versorgungsamt durchgeführten medizinischen Ermittlungen bei SR Dr. S. ergaben weitere große epileptische Anfälle des Klägers mit Stürzen und Bewusstseinsverlust in der Zeit von Anfang Mai bis Mitte Juni 1995. Der nach Operation verbliebene Rest-Tumor sei nicht größer geworden; der Patient klage aber über verstärkte Kopfschmerzen und vegetative Störungen. Als Verschlechterung seien die seit Mai mehrfach aufgetretenen großen cerebralen Anfälle zu werten. In der gutachtlichen Stellungnahme vom 25. September 1995 schlug Dr. K. vom versorgungsärztlichen Dienst wegen des Krampfanfallsleiden die Vergabe der Merkzeichen "G" und "B" vor und empfahl eine Nachprüfung nach drei Jahren. Dem folgend stellte das Versorgungsamt mit Bescheid vom 4. Oktober 1995 nunmehr anstelle der "hirnorganischen Anfälle" ein "Krampfanfallsleiden" als Behinderung fest, ließ die übrigen Behinderungen unverändert und stellte die Merkzeichen "G" und "B" fest.
Am 18. November 1996 beantragte der Kläger die Feststellung eines höheren Grades der Behinderung sowie die Zuerkennung auch der Merkzeichen "H" und "RF" wegen des Wachstums des Hirntumors und einer Verstärkung des Krampfanfallsleidens (große Anfälle mit Krämpfen). Auf Anforderung des Versorgungsamtes berichtete SR Dr. S. am 27. November 1996 über eine Zunahme der großen Krampfanfälle nach Zahl und Intensität, wobei jeweils der Notarzt angefordert worden sei. Der Patient klage über ständige Kopfschmerzen und habe eine Ausbildung in der Reha-Einrichtung in H. abgebrochen, da er den Anforderungen mental nicht mehr gewachsen gewesen sei. Insgesamt habe sich die psycho-physische Belastbarkeit im Vergleich zur Situation im August 1995 eindeutig verschlechtert. Dem Bericht waren weitere Arzt...