Leitsatz
Für die Berücksichtigung von Fällen des für die Verleihung einer Fachanwaltsbezeichnung erforderlichen Quorums kommt es allein darauf an, ob diese im Drei-Jahres-Zeitraum auf dem rechtlichen Spezialgebiet rechtlich bearbeitet worden sind. Unerheblich ist, ob ein Schwerpunkt der Bearbeitung innerhalb des Drei-Jahres-Zeitraums liegt.
Sachverhalt
Ein Rechtsanwalt beantragte bei der Anwaltskammer, ihm die Führung der Bezeichnung "Fachanwalt für Steuerrecht" zu gestatten. Zum Nachweis seiner besonderen praktischen Erfahrungen legte er eine Liste mit 55 Fällen vor. Die Kammer hat den Antrag mit der Begründung abgelehnt, der Rechtsanwalt habe den Erwerb besonderer praktischer Erfahrungen auf dem Gebiet des Steuerrechts nicht nachgewiesen, da bei den präsentierten Fällen Mindergewichtungen vorzunehmen seien. Der Anwaltsgerichtshof hat den Bescheid der Kammer aufgehoben und diese verpflichtet, dem Rechtsanwalt das Recht zur Führung der Bezeichnung "Fachanwalt für Steuerrecht" zu verleihen. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde blieb ohne Erfolg.
Entscheidung
Der Erwerb besonderer praktischer Erfahrungen im Steuerrecht setzt voraus, dass der Antragsteller innerhalb der letzten drei Jahre vor der Antragstellung im Fachgebiet als Rechtsanwalt selbständig bzw. persönlich und weisungsfrei 50 Fälle aus den in § 9 FAO genannten Bereichen bearbeitet hat. Dabei müssen wenigstens drei der in § 9 Nr. 3 FAO genannten Steuerarten erfasst sein. Bei mindestens zehn Fällen muss es sich um rechtsförmliche Verfahren, d.h. Einspruchs- oder Klageverfahren, handeln.
Der "Fall" ist in der FAO nicht definiert. Entsprechend dem Verständnis des Begriffs "Fall" im Rechtsleben und im täglichen Gebrauch ist darunter jede juristische Aufarbeitung eines einheitlichen Lebenssachverhalts zu verstehen, der sich von anderen Lebenssachverhalten dadurch unterscheidet, dass die zu beurteilenden Tatsachen und die Beteiligten verschieden sind. Auch wenn mit der Fallbearbeitung vor dem Drei-Jahres-Zeitraum begonnen wurde, sind derartige Mandate als Bearbeitungen innerhalb des Drei-Jahres-Zeitraums anzuerkennen. Es kommt nämlich lediglich darauf an, ob die Sache während des maßgeblichen Zeitraums inhaltlich (irgendwie) bearbeitet wurde. Denn das Erfordernis der Bearbeitung bestimmter Fallzahlen soll nur sicherstellen, dass der Durchschnitt der Mandate auf dem Fachgebiet des Rechtsanwalts die Zahl der Aufträge deutlich übersteigt, die von nicht spezialisierten Berufskollegen im betreffenden Zeitraum auf dem Gebiet bearbeitet werden. Es kommt aber nicht darauf an, dass die wesentliche Fallbearbeitung in die zu berücksichtigende Zeitspanne fällt.
Praxishinweis
Die einzelnen Fälle sind nicht unbedingt einheitlich zu gewichten, je nach Sachlage kommt insbesondere eine Abwertung in Betracht. Bezugspunkte hierfür sind die Bedeutung, der Umfang und die Schwierigkeit des jeweiligen (Gesamt-)Falls, nicht aber der Umfang und die Schwierigkeit der im maßgeblichen Beurteilungszeitraum erfolgten Bearbeitung. Dementsprechend zählen auch verschiedene Steuererklärungen, die im Auftrag desselben Mandanten für mehrere Besteuerungszeiträume erstellt werden, prinzipiell jeweils als "ein Fall".
Link zur Entscheidung
BGH-Beschluss vom 6.3.2006, AnwZ (B) 36/05