Hella Slegt-Moens, Arlette R. van Maas de Bie
Rz. 56
Die gesetzliche Erbfolge im niederländischen Erbrecht richtet sich in erster Linie nach der Abstammung. Abstammungsrecht und Erbrecht sind eng miteinander verknüpft. Wichtig ist demzufolge, wer als Kind des Erblassers zu behandeln ist. Im internationalen Erbfall ist denn auch immer das internationale Abstammungsrecht zu klären.
Rz. 57
Am 11.5.2003 ist das Wet Conflictenrecht Afstamming (im Folgenden: WCA) in Kraft getreten. Das Gesetz ist am 1.1.2012 in das niederländische Buch 10 BW übergegangen. Nach Art. 10:92 Abs. 1 BW unterliegt die Begründung der familienrechtlichen Beziehungen des Kindes zu der Frau, von der es geboren ist, und der mit ihr verheirateten Person (i) dem gemeinsamen Heimatrecht der Frau und der Person. Fehlt ein gemeinsames Heimatrecht, dann ist (ii) das Recht des gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthaltsstaates einschlägig. Wenn auch dies fehlt, gilt (iii) das Recht des Staates, in dem das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Maßgeblicher Zeitpunkt ist die Geburt oder, wenn die Ehe der Eltern vorher aufgelöst ist, der Zeitpunkt der Auflösung (Art. 10:92 Abs. 3 BW).
Rz. 58
Die Abstammung kann nach dem durch Art. 10:92 Abs. 1 BW bestimmten Recht angefochten werden (Art. 10:93 BW). Wenn nach diesem Recht die Voraussetzungen der Anfechtung nicht oder nicht mehr vorliegen, kann der Richter, wenn es dem Interesse des Kindes entspricht, auf gemeinsamen Antrag des Kindes und der Eltern ein anderes in Art. 10:92 BW genanntes Recht oder das Recht des Staates, in dem das Kind zur Zeit der Anfechtung seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, oder niederländisches Recht anwenden (Art. 10:93 Abs. 2 BW).
Rz. 59
Die Frage, ob zwischen der Mutter und einem außerhalb der Ehe oder registrierten Partnerschaft von ihr geborenen Kind durch die Geburt familienrechtliche Beziehungen entstehen, unterliegt dem Heimatrecht der Frau. Wenn die Frau mehrere Heimatrechte innehat, ist das Recht einschlägig, welches die familienrechtlichen Beziehungen entstehen lässt. In jedem Fall entstehen solche Beziehungen, wenn die Frau ihren gewöhnlichen Aufenthalt in den Niederlanden hat (Art. 10:94 BW).
Rz. 60
Ob die Anerkennung durch den Mann zwischen ihm und dem Kind familienrechtliche Beziehungen begründet, wird in Bezug auf die Befugnis des Mannes und die Voraussetzung der Anerkennung durch das Heimatrecht des Mannes beherrscht. Falls infolge dieses Rechts die Anerkennung nicht oder nicht mehr möglich ist, gilt hilfsweise das Recht des Staates, in dem das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Wenn die Anerkennung auch infolge dieses Rechts nicht möglich ist, ist das Heimatrecht des Kindes einschlägig oder, wenn sie auch dann nicht oder nicht mehr möglich ist, das Recht des Staates, in dem der Mann seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (favor legitimationis, Art. 10:95 Abs. 1 BW).
Rz. 61
Mit Wirkung zum 1.4.2014 ist die Vorschrift weggefallen, wonach nach niederländischem Recht ein niederländischer verheirateter Mann nicht befugt ist, das Kind einer anderen Frau als seiner Ehefrau anzuerkennen (ehemals: Art. 4 Abs. 2 WCA). Dieses Gesetz hat keine Rückwirkung. Seither ist es für einen niederländischen Mann also möglich, ein Kind einer anderen Frau als seiner Ehefrau anzuerkennen. Für die Zustimmung der Mutter bzw. des Kindes zur Anerkennung des Kindes durch den Mann ist das Heimatrecht der Mutter bzw. des Kindes einschlägig (Art. 10:95 Abs. 3 BW). Wenn die Mutter bzw. das Kind die niederländische Staatsangehörigkeit besitzen, ist jedenfalls niederländisches Recht einschlägig. Gemäß Art. 1:204 Abs. 1 Buchst. c BW ist die schriftliche Zustimmung der Mutter zur Anerkennung durch den Vater erforderlich, allerdings nur solange, bis das Kind das 16. Lebensjahr erreicht hat. Wenn das anzuwendende Recht die Anerkennung nicht kennt, ist das Recht des Staates, in dem die Mutter bzw. das Kind ihren bzw. seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, einschlägig. Das auf die Zustimmung anzuwendende Recht bestimmt ebenfalls, ob bei fehlender Zustimmung diese durch eine richterliche Entscheidung ersetzt werden kann (Art. 10:95 Abs. 3 BW).
Rz. 62
Neben der Anerkennung können die familienrechtlichen Beziehungen zwischen dem Mann (im Gesetzestext steht "Person", weil es geschlechtsneutral formuliert worden ist) und dem Kind auch durch die gerichtliche Feststellung der Vaterschaft entstehen. Ob und unter welchen Voraussetzungen die Vaterschaft des Mannes festgestellt werden kann, wird gem. Art. 10:97 Abs. 1 BW bestimmt durch das Recht des gemeinsamen Heimatstaates des Mannes und der Mutter oder, wenn dieses fehlt, durch das Recht des Staates des gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts oder, wenn auch dieses fehlt, durch das Recht des Staates des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes. Als maßgeblicher Zeitpunkt gilt das Einreichen des Antrags. Sind der Mann oder die Mutter in dem Zeitpunkt gestorben, ist bei fehlender gemeinsamer Staatsangehörigkeit zur Zeit des Versterbens das gemeinsame Aufenthaltsrecht des Mannes und der Mutter in diesem Zeitpunkt anzuwen...