rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Kostenentscheidung - Gesonderte Feststellung des Grundstückswerts zum 1.7.2010 für ein Mietwohngrundstück - ; Kostentragungspflicht nach Erledigung in der Hauptsache
Leitsatz (redaktionell)
- Eine Ausprägung des Gleichheitssatzes im Prozessrecht ist die „Waffengleichheit”. Diese gebietet es, das Risiko am Prozessausgang gleichmäßig zu verteilen.
- Hat das FA dem Begehren des Stpfl. voll entsprochen und haben die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt, sind dem FA trotz eigentlich verspäteter Vorlage eines Wertgutachtens seitens des Stpfl. aus Gründen der prozessualen Waffengleichheit die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
Normenkette
FGO §§ 137-138
Tatbestand
I. Nachdem der Beklagte dem Begehren der Klägerin voll entsprochen hat und die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, sind dem Beklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen (§ 138 Abs. 2 Satz 1 Finanzgerichtsordnung -FGO-).
Zu den Verfahrenskosten gehören nach § 139 Abs. 1 FGO die Gerichtskosten, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten und die Kosten des Vorverfahrens.
Entscheidungsgründe
II. Dem Antrag des Beklagten, der Klägerin die Verfahrenskosten aufzuerlegen, folgt das Gericht nicht.
Der obsiegenden Klägerin können nach § 138 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit der hier allein in Betracht kommenden Regelung des § 137 Satz 1 FGO die Kosten des Verfahrens auferlegt werden, wenn die Entscheidung auf Tatsachen beruht, die sie früher hätte geltend machen oder beweisen können und sollen. Im Streitfall hätte die Klägerin den geringeren gemeinen Wert des Grundstücks schon im Verwaltungsverfahren durch das erst im Klageverfahren vorgelegte Gutachten nachweisen können. Gleichwohl ist die Vorlage des Gutachtens erst während des Klageverfahrens nicht als verspäteter Sachvortrag im Sinne von § 137 Satz 1 FGO zu werten.
1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) trägt der Steuerpflichtige im Rahmen der Bedarfsbewertung gemäß § 198 S. 1 Bewertungsgesetz (BewG) die Nachweislast für den niedrigeren gemeinen Wert des Grundstücks (vgl. etwa BFH, Urteil vom 10.11.2004 - II R 69/01 - BStBl II 2005, 259, zu § 146 Abs. 7 BewG a.F.). Legt ein Kläger zum Nachweis des geringeren gemeinen Werts ein Gutachten erst im Klageverfahren vor, obwohl er es schon im Verwaltungsverfahren hätte vorlegen können und aufgrund seiner aus § 198 Satz 1 BewG resultierenden Mitwirkungspflicht auch hätte vorlegen müssen, handelt es sich grundsätzlich um verspäteten Sachvortrag im Sinne von § 137 Satz 1 FGO.
Es wurde auch vertreten, dass aus der im Bewertungsgesetz normierten Nachweislast auch eine entsprechende Kostentragungslast für den Steuerpflichtigen folgt (vgl. Nds. FG, Beschluss vom 31.08.2007 - 1 KO 6/07 - EFG 2007,1814).
2. Gleichwohl ist das Gericht der Auffassung, dass im Rahmen des von ihm nach § 137 Satz 1 FGO auszuübenden Ermessens und unter Beachtung seiner Verpflichtung zur verfassungskonformen Auslegung dieser Norm die Verfahrenskosten dem Beklagten aufzuerlegen sind. Andernfalls wären die Grundrechte der Klägerin auf Wahrung der prozessualen Waffengleichheit insbesondere im Hinblick auf das Kostenrisiko (Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz -GG-) und auf wirkungsvolle Justizgewährung (Art. 19 Abs. 4 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip und Art. 2 Abs. 1 GG) verletzt.
a) Eine wichtige Ausprägung des Gleichheitssatzes im Prozessrecht ist die „Waffengleichheit”. Sie soll das Risiko am Prozessausgang gleichmäßig verteilen und sie ist besonders wichtig im Prozess vor den Finanzgerichten, vor denen sich die Finanzbehörde und der Steuerpflichtige nicht als Gleichgeordnete gegenüberstehen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 28.01.1970 - 1 BvL 19/68 - BVerfGE 27, 391, 395).
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluss vom 20.06.1973 (1 BvL 9,10/71 - BVerfGE 35, 283, 289) hervorgehoben, dass im Rahmen eines Prozess- oder Verwaltungsverfahrens Waffen- und Chancengleichheit auch in Bezug auf den Auslagenersatz herrschen soll. Nach Sinn und Zweck des Art. 3 Abs. 1 GG genüge es, so das Bundesverfassungsgericht, dass der Steuerfiskus als Verfahrensbeteiligter in eine mit den Steuerpflichtigen vergleichbare Kostensituation gelange.
Im Beschluss vom 12.09.2005 - 2 BvR 277/05 - NJW 2006, 136 führt das Bundesverfassungsgericht aus:
„Die Garantie wirkungsvollen Rechtsschutzes ist ein wesentlicher Bestandteil des Rechtsstaates (vgl. BVerfGE 88, 118, 123; 96, 27, 39f.), die vom Grundgesetz nicht nur durch Art. 19 Abs. 4 GG, sondern darüber hinaus im Rahmen des allgemeinen Justizgewährungsanspruchs garantiert wird. Dieser ist Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips in Verbindung mit den Grundrechten, insbesondere Art. 2 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 93, 99, 107; 107, 395, 401). Die grundgesetzliche Garantie eines wirkungsvollen Rechtsschutzes gewährleistet nicht nur den Rechtsweg im Rahmen der jeweiligen einfach-gesetzlichen Verfahrensordnungen, sonde...