Entscheidungsstichwort (Thema)
Schwerbehindertenrecht. Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung. Antragsfrist. Kenntnis des Arbeitgebers an der Schwerbehinderteneigenschaft
Leitsatz (amtlich)
1. Beruft sich ein Arbeitnehmer erstmals mit der Klage gegen die außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses auf seine Schwerbehinderteneigenschaft, kann der Arbeitgeber innerhalb von zwei Wochen nach Erlangung der Kenntnis von der Schwerbehinderteneigenschaft die Zustimmung der Hauptfürsorgestelle zu einer (erneuten) außerordentlichen Kündigung beantragen (wie BAGE 39, 59).
2. In einem solchen Fall ist es jedenfalls nicht (im Sinne von BVerwGE 90, 275) „offensichtlich” ausgeschlossen, daß der Arbeitgeber die Kündigung auch dann noch unverzüglich nach Erteilung der Zustimmung erklären kann, wenn die Frist des § 626 Abs. 2 BGB bei Ausspruch der ersten Kündigung schon abgelaufen gewesen sein sollte.
Normenkette
SchwbG § 21 Abs. 2, 5; BGB § 626 Abs. 2
Verfahrensgang
VG Stade (Urteil vom 01.11.1993; Aktenzeichen 1 A 15/93) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Stade – 1. Kammer – vom 1. November 1993 teilweise geändert.
Der Bescheid des Landessozialamtes Niedersachsen vom 10. Juli 1992 und sein Widerspruchsbescheid vom 29. Dezember 1992 werden aufgehoben, soweit die Zustimmung zu einer noch auszusprechenden Kündigung versagt worden ist.
Der Beklagte wird verpflichtet, die Zustimmung zu einer noch auszusprechenden außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Beigeladenen durch die Klägerin zu erteilen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin zu einem Viertel und der Beklagte und der Beigeladene als Gesamtschuldner zu drei Vierteln. Insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.
Der Beigeladene darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 1.000,– DM, der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 1.500,– DM abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung jeweils Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Beigeladenen.
Der 55 Jahre alte Beigeladene ist Schwerbehinderter (Bescheid des Versorgungsamtes … vom 7.10.1991 – 36 152 78-5341 6 –; GdB 50). Er wurde am 1. Februar 1963 als Leiter der … von der Klägerin, einem Verlags- und Druckereiunternehmen, eingestellt. Im Juli 1970 wurde er Betriebsleiter. Im Jahre 1975 wurde ihm Gesamtprokura erteilt. Gemäß dem Einstellungsvertrag vom 21. Dezember 1976 wurde er gemeinsam mit einem weiteren Geschäftsführer damit betraut, den geschäftsführenden Gesellschafter zu unterstützen und im Verhinderungsfalle zu vertreten. Als besonderes Arbeitsgebiet wurde ihm die gesamte technische Leitung übertragen. Der monatliche Verdienst des Beigeladenen betrug zuletzt etwa 12.000,– DM brutto. Gemäß Nr. 5 Abs. 2 einer Vereinbarung über die Alters- und Witwenversorgung vom 1. Juli 1970 iVm § 4 des Anstellungsvertrages vom 21. Dezember 1976 kann das Dienstverhältnis des Beigeladenen nach 25-jähriger Betriebszugehörigkeit nur aus Gründen gelöst werden, welche dieses nach § 626 BGB und § 123 GewO (a. F.) ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist zulassen.
Nach dem Ausscheiden des weiteren Geschäftsführers war der Beigeladene zeitweise auch für die kaufmännische Verlagsleitung zuständig. Zum 1. Oktober 1990 stellte die Klägerin einen Herrn … als zweiten Geschäftsführer (zuständig für die Bereiche Anzeigen und Vertrieb) ein. Mit Schreiben vom 4. März 1991 gab sie den Mitarbeitern bekannt, daß Herr … zum Verlagsleiter und Mitglied der Geschäftsführung berufen worden sei und ihm alle Mitarbeiter des Verlagsbereiches einschließlich der Buchhaltung unterstellt seien. Die Mitarbeiter des Bereiches Technik blieben weiterhin dem Beigeladenen unterstellt. Diesem teilte die Klägerin zugleich mit, daß ihm die unmittelbare Verlagsleitung entzogen sei.
Schon vor der Einstellung des Herrn … hatte der Beigeladene gegen diesen Vorbehalte und Bedenken geäußert. Nach dessen Einstellung kam es zunehmend zu Spannungen zwischen der Klägerin und dem Beigeladenen. Mit Schreiben vom 26. Februar 1991 wurde der Beigeladene wegen verschiedener Vorfälle abgemahnt.
Der Beigeladene erhob gegen die Abmahnung sowie gegen den Entzug der Mitverantwortung für die Verlagsleitung bei dem Arbeitsgericht Verden Klage. Das Gericht erhob über die in dem Abmahnungsschreiben enthaltenen Vorwürfe durch Zeugenvernehmung Beweis, u. a. zu der Behauptung der Klägerin, der Beigeladene habe am 13.9.1990 in der Gaststätte … in … andere Mitarbeiter der Firma zu Maßnahmen gegen die beabsichtigte Einstellung des Herrn … veranlaßt. Hierzu gab der Zeuge … bei seiner Vernehmung am 31. Oktober 1991 u. a. an: „Was mir aber aus dem Gespräch in der … besonders in Erinnerung geblieben ist, ist eine Äuß...