Dr. Christoph Brandenburg
Leitsatz
Zu welchem Zeitpunkt eine "Genehmigung" i.S.v. Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 85/337/EWG des Rates vom 27.06.1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (UVP-RL) vorliegt, ist nach nationalem Recht unter Berücksichtigung des Gemeinschaftsrechts zu beurteilen. Bei einem mehrstufigen Genehmigungsverfahren muss eine Umweltverträglichkeitsprüfung auch dann noch durchgeführt werden, wenn sich während der zweiten Stufe herausstellt, dass das Projekt erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt hat.
Fakten:
Am 04.04.1997 beantragte die London & Regional Properties Ltd bei der zuständigen Londoner Planungsbehörde einen Bauvorbescheid für den Bau eines großen Freizeitzentrums. Bei der Erteilung des Bauvorbescheids kam die Planungsbehörde zu dem Ergebnis, dass keine Umweltverträglichkeitsprüfung nach der UVP-RL durchzuführen sei. Auch die entgültige Baugenehmigung erging mit dem Hinweis auf das nationale englische Recht, wonach eine UVP-Prüfung nur in der ersten Bauvorbescheidphase durchgeführt werden kann, ohne Durchführung e ines UVP-Verfahrens. Im Rahmen der zweiten Instanz einer Nachbarklage gegen die Erteilung der Baugenehmigung wurde dem EuGH vom House of Lords im Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 234 EG u.a. die Frage vorgelegt, ob sich die Qualifizierung einer Entscheidung als "Genehmigung" i.S. von Art. 1 Abs. 2 UVP-RL ausschließlich nach nationalem Recht bestimmt. Gem. Art. 1 Abs. 2 UVP-Richtlinie ist unter dem Begriff "Genehmigung" jede Entscheidung der zuständigen Behörde oder der zuständigen Behörden, aufgrund deren der Projektträger das Recht zur Durchführung des Projekts erhält. Der EuGH entschied, dass es sich bei dem Begriff der "Genehmigung" i.S.v. Art. 1 Abs. 2 UVP-RL, auch wenn er sich auf bestimmte Elemente des nationalen Rechts stützt, nach ständiger Rechtsprechung um einen gemeinschaftsrechtlichen Begriff handelt, da er nicht explizit auf das Recht der Mitgliedsstaaten verweist. Daher, so der EuGH weiter, sei die Vorlagefrage dahingehend zu beantworten, dass die Qualifizierung einer Entscheidung als "Genehmigung" i.S. von Art. 1 Abs. 2 UVP-RL nach nationalem Recht in Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht zu erfolgen hat.
Link zur Entscheidung
EuGH, Urteil vom 04.05.2006, C-290/03
Fazit:
In Deutschland wurde die UVP-Richtlinie u.a. durch das Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz (UVPG) umgesetzt. Gem. § 3a S. 1 UVPG stellt die zuständige Stelle entweder auf Antrag oder nach Beginn des Verfahrens, das der Entscheidung über die Zulässigkeit des Vorhabens dient, unverzüglich fest, ob eine Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung besteht. Bei der Beantwortung der Frage, was unter "Beginn des Verfahrens, das der Entscheidung über die Zulässigkeit des Vorhabens dient" zu verstehen ist, kann auf die Auslegungsregel des EuGH zurückgegriffen werden. Nach Landesrecht gestattet der deutsche Bauvorbescheid in Form des Bebauungsbescheids dem Bauherren noch nicht, mit dem Bauvorhaben zu beginnen (Baufreigabe). Somit ist er laut EuGH also nicht als "Genehmigung" i.S. von Art. 1 Abs. 2 UVP-RL und folglich das deutsche Vorbescheidverfahren nicht als "Verfahren" i.S. von § 3a S. 1 UVPG zu qualifizieren. Ob eine Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung besteht, ist somit grundsätzlich erst im Baugenehmigungsverfahren zu entscheiden. Dies gilt allerdings nur, soweit der Bauherr nicht einen gegenteiligen Antrag stellt. Zu einer Antragstellung ist dem Bauherren zu raten, da er nur auf diese Weise schon frühzeitig Klärung über die Frage nach der Pflicht zur Durchführung einer UVP erlangen kann. Bei der Beantwortung der Frage, wie bei einem mehrstufigen Verfahren zu entscheiden ist, kann auf die Entscheidung des EuGH zurückgegriffen werden. Demnach ist ein UVP-Verfahren auch dann noch durchzuführen, wenn die Notwendigkeit zur Durchführung im Verfahren des Erlasses des Vorbescheides zwar zunächst verneint wurde, später jedoch weitere Tatsachen hinzugekommen sind, welche die Durchführung notwendig machen. Dies gilt allerdings nicht dann, wenn keine neuen Tatsachen hinzugekommen sind und im Bauvorbescheid die UVP-Pflicht verbindlich und abschließend abgelehnt wurde. In diesem Fall entfaltet der Bauvorbescheid nämlich Bindungswirkung für die Baugenehmigung und der Bauherr ist in seinem Vertrauen, dass keine Umweltverträglichkeitsprüfung notwendig ist, geschützt.