Entscheidungsstichwort (Thema)

Zuweisung der Ehewohnung bei Getrenntleben, unbillige Härte

 

Leitsatz (amtlich)

1. Aus den in der gesetzlichen Regelung hervorgehobenen Tatbeständen, die eine unbillige Härte begründen können - die Anwendung von Gewalt (§ 1361b Abs. 2 BGB) und die Beeinträchtigung des Kindeswohls (§ 1361b Abs. 1 S. 2 BGB) - ist zu folgern, dass eine Wohnungszuweisung besondere Umstände voraussetzt, die über bloße Unannehmlichkeiten oder Belästigungen, wie sie oft in der Auflösungsphase einer Ehe auftreten, hinausgehen und unter Berücksichtigung der Interessen des anderen Ehegatten dessen Verbleiben in der Wohnung für den Ehegatten zu einer unerträglichen Belastung machen.

2. Die Ursachen für das Scheitern der Ehe sind im Rahmen von § 1361b BGB - entsprechend dem verschuldensunabhängigen Scheidungs- und Scheidungsfolgenrecht - grundsätzlich ohne Bedeutung.

3. Ein Anspruch auf vollumfängliche Privatsphäre in der gesamten Ehewohnung sowie auf Kenntnis der Anwesenheitszeiten des anderen Ehegatten besteht während des Getrenntlebens innerhalb der Ehewohnung nicht.

 

Normenkette

BGB § 1361b

 

Verfahrensgang

AG (Aktenzeichen 2 F 570/21)

 

Tenor

1. Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Amtsgerichts xxx vom 13.12.2021, Az. 2 F 570/21, abgeändert.

Der Antrag der Antragstellerin auf Zuweisung der Ehewohnung (xxxxxxx) wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen werden zwischen den Beteiligten aufgehoben.

3. Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.000,00 Euro festgesetzt.

4. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Die Beteiligten streiten um die Zuweisung der Ehewohnung während des ehelichen Getrenntlebens nach § 1361b BGB.

1. Antragstellerin und Antragsgegner sind verheiratete Eheleute. Sie leben gemeinsam in der im Alleineigentum der Antragstellerin stehenden Ehewohnung in der xxxx in xxx. Es handelt sich um eine Immobilie mit 1800 m2 Grundstück sowie einer Wohnfläche von ca. 200 m2. Die 60-jährige Antragstellerin ist bis zur Pensionierung beurlaubte X-Lehrerin. Sie verfügt über Mieteinkünfte. Der 62-jährige Antragsgegner verfügt über Erwerbseinkünfte als Niederlassungsleiter der xxx. Minderjährige Kinder der Eheleute wohnen nicht mehr in der Ehewohnung.

Der Antragsgegner unterhielt seit dem Jahr 2018 eine außereheliche Beziehung. Auf Betreiben der Antragstellerin erfolgte am 01.10.2020 eine Trennung der Beteiligten innerhalb der Ehewohnung. Diese wurde vom Antragsgegner mit Erklärung vom 17.11.2020 schriftlich bestätigt (Bl. 6 d.A.). Nachfolgend kam es zu mehreren Versöhnungsversuchen der Beteiligten, die aus Sicht der Antragstellerin endgültig gescheitert sind. Mit anwaltlichem Schreiben vom 28.10.2021 (Bl. 9 d.A.) forderte die Antragstellerin den Antragsgegner sodann zum endgültigen Auszug aus der Ehewohnung bis spätestens zum 31.12.2021 auf. Der Antragsgegner erklärte mit Antwortschreiben vom 14.11.2021, dass er an der Ehe festhalten und daher in der Ehewohnung verbleiben wolle.

Die Antragstellerin hat erstinstanzlich mit Antragsschrift vom 01.12.2021 beantragt, ihr die Immobilie zur alleinigen Nutzung zuzuweisen. Zur Begründung hat sie ausgeführt, dass der Antragsgegner das Getrenntleben der Eheleute weder in räumlich-gegenständlicher Hinsicht noch als zu respektierenden Wunsch der Antragsteller beachte. Auch aufgrund des Zuschnitts der Wohnung mit nur einem Wohnzimmer und nur einer Küche sei ein Getrenntleben innerhalb der Wohnung nicht möglich. Nachdem die Immobilie in ihrem Alleineigentum stehe und der Antragsgegner ohne Weiteres wirtschaftlich zur Anmietung eigenen Wohnraums in der Lage wäre, sei für die Dauer des Getrenntlebens die Ehewohnung ihr zuzuweisen.

Der Antragsgegner hat gegen den Antrag eingewendet, dass bis September 2021 noch eheliche Gemeinsamkeiten bestanden hätten. Sollte er gezwungen sein, das Haus zu verlassen, würde die von ihm angestrebte Versöhnung mit der Antragstellerin nicht mehr möglich sein. Ein Getrenntleben in der Ehewohnung sei bei entsprechender Abstimmung der Beteiligten hingegen möglich.

2. Mit Beschluss vom 13.12.2021 hat das Amtsgericht - Familiengericht - nach Anhörung beider Beteiligter die Ehewohnung der Antragstellerin zur alleinigen Nutzung zugewiesen und dem Antragsgegner eine Räumungsfrist bis zum 31.03.2022 eingeräumt. Eine Zuweisung von Teilbereichen sei nicht möglich und der Antragstellerin nicht zumutbar, da der Antragsgegner den Trennungswunsch der Antragstellerin ebensowenig akzeptiert habe wie das getrennte Wirtschaften und das getrennte Einnehmen von Mahlzeiten. Auch sei aufgrund der räumlichen Gegebenheiten mit nur einer Küche, die in einen offenen Wohnbereich mündet, ein Getrenntleben innerhalb der Ehewohnung nicht möglich. Ergänzend wird auf die Gründe der angegriffenen Entscheidung Bezug genommen (Bl. 18 d.A.).

3. Gegen diesen ihm am 15.12.2021 zugestellten Beschluss wendet sich der Antragsgegner mit seiner am 12.01.2022 beim Amtsgericht eingegangenen Beschwerde. Er ist der Ansicht, das...

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