Leitsatz (amtlich)
1.
Liegen die Voraussetzungen des § 73 Abs. 2 OWiG vor, ist das Gericht verpflichtet, einem Entbindungsantrag zu entsprechen, sofern nicht die Aufklärungspflicht die Anwesenheit des Betroffenen unverzichtbar macht (u.a. Anschluss an BayObLG DAR 2001, 371; 2002, 133/134; OLG Düsseldorf NZV 2007, 251/252; OLG Dresden DAR 2005, 460; OLG Karlsruhe ZfS 2005, 154; OLG Hamm VRS 107, 120/123 und ZfSch 2006, 710 ff.).
2.
Wird mit der auf die Verletzung von § 74 Abs. 2 OWiG (bzw. § 73 Abs. 2 OWiG) und des Anspruchs auf rechtliches Gehör gestützten Rechtsbeschwerde gegen ein Verwerfungsurteil beanstandet, dass der Betroffene aufgrund eines nicht ausdrücklich gestellten Entbindungsantrags von der Anwesenheitspflicht hätte entbunden werden müssen, ist zur Beurteilung der Verfahrensrüge regelmäßig eine lückenlose Darstellung des Verfahrens im Vorfeld des Verwerfungsurteils nach § 74 II OWiG sowie die Mitteilung des Inhalts derjenigen Schriftsätze, Einlassungen oder sonstigen Stellungnahmen unverzichtbar, denen der Antrag nach § 73 II OWiG zu entnehmen sein soll.
Verfahrensgang
AG Traunstein (Entscheidung vom 22.03.2007) |
Tenor
Gründe
I.
Die Zentrale Bußgeldstelle im Bayerischen Polizeiverwaltungsamt hat mit Bußgeldbescheid vom 04.09.2006 gegen den Betroffenen wegen einer am 07.06.2006 als Führer eines Pkw fahrlässig begangenen Verkehrsordnungswidrigkeit der Nichteinhaltung des Mindestabstandes von einem vorausfahrenden Fahrzeug (§ 4 Abs. 1 Satz 1 StVO) eine Geldbuße von 100 Euro festgesetzt und zugleich ein Fahrverbot für die Dauer eines Monats angeordnet.
Den hiergegen gerichteten Einspruch des Betroffenen hat das Amtsgericht mit Urteil vom 22.03.2007 nach § 74 Abs. 2 OWiG verworfen, weil der Betroffene - ohne von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbunden worden zu sein - in der Hauptverhandlung unentschuldigt nicht erschienen sei.
II.
Die gegen das Verwerfungsurteil gerichtete, auf die Verletzung formellen Rechts, nämlich auf die Rügen der Verletzung von § 74 Abs. 2 OWiG und der Verletzung des rechtlichen Gehörs gestützte Rechtsbeschwerde erweist sich als unzulässig, weshalb das Rechtsmittel gemäß § 349 Abs. 1 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG bereits als unzulässig zu verwerfen war.
1.
Gemäß § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG i.V.m. § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO muss der Beschwerdeführer, der eine Verletzung des Verfahrensrechts geltend machen will, im Rahmen seiner Rechtsbeschwerdebegründung die den Mangel begründenden Tatsachen so vollständig und genau angeben, dass das Rechtsbeschwerdegericht allein aufgrund der Begründungsschrift prüfen kann, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, wenn die behaupteten Tatsachen bewiesen werden; hierzu gehört auch der Vortrag zu Anhaltspunkten, die nach den konkreten Umständen des Falles gegen das Rechtsbeschwerdevorbringen sprechen (st.Rspr., vgl. z.B. BGHSt 3, 213/214; 21, 334/340; 29, 203; BGHR StPO § 344 Abs. 2 Satz 2 Befangenheitsrüge 1, Beweisantragsrecht 2, Beweiswürdigung 3, letztes Wort 1, 3 und Verwertungsverbot 5; BGH NStZ 2004, 690 f.; BGH NStZ 2005, 222 f.; BayObLGSt 1998, 144/145 sowie zuletzt BGH NStZ-RR 2007, 53 f.; BGH NStZ 2007, 117; BGH NStZ 2007, 234 f.; OLG Frankfurt, Beschluss v. 09.05.2007 - 3 Ss 70/07 ≪bei JURIS≫; aus der Kommentarliteratur zusammenfassend u.a. Meyer-Goßner StPO 50. Aufl. § 344 Rn. 20 ff. und KK/Kuckein StPO 5. Aufl. § 344 Rn. 38 ff.; vgl. ferner Sander NStZ-RR 2006, 33 ff. und Widmaier StraFo 2006, 437 ff., jeweils m. zahlr. weit. Nachw.). Eine Nachbesserung von bereits erhobenen, jedoch innerhalb der Begründungsfrist nicht formgerecht angebrachter Verfahrensrügen ist unzulässig (BGHR StPO § 44 Verfahrensrüge 1, 3, 4).
2.
Diesen Darlegungsanforderungen genügt die Rechtsbeschwerdebegründung des Betroffenen - die zudem schon aufgrund des im Bußgeldbescheid vom 04.09.2006 gegen den Betroffenen angeordneten Fahrverbots unzutreffend von der Notwendigkeit einer vorherigen Zulassung der Rechtsbeschwerde auszugehen scheint - selbst bei Anlegung eines großzügigen Maßstabes nicht:
a)
Zwar kann eine nach § 74 Abs. 2 OWiG unzulässige Einspruchsverwerfung nicht nur einfaches Verfahrensrecht verletzen, sondern zugleich gegen Art. 103 Abs. 1 GG verstoßen, wenn die gerügte Verfahrensweise dazu führt, dass sachliche Einwendungen des Betroffenen unberücksichtigt bleiben. Denn der Anspruch eines Betroffenen auf sachliche Würdigung seines Vorbringens darf nicht durch eine unzulässige Einspruchsverwerfung seines Inhalts beraubt werden (st. Rspr. des Senats, vgl. zuletzt u.a. Beschluss vom 08.02.2007 - 3 Ss OWi 74/2007 m.w.N.).
Diese Voraussetzungen können grundsätzlich auch in einem Fall erfüllt sein, in dem das Gericht einen Betroffenen rechtsfehlerhaft nicht von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung entbunden hat. Denn das Fernbl...