Verfahrensgang
AG Fürstenfeldbruck (Entscheidung vom 14.03.2011) |
Tenor
I. Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Fürstenfeldbruck vom 14. März 2011 mit den Feststellungen aufgehoben.
II. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Fürstenfeldbruck zurückverwiesen.
Gründe
I. Die Zentrale Bußgeldstelle im Bayerischen Polizeiverwaltungsamt verhängte gegen die Betroffene mit Bußgeldbescheid vom 27.08.2010 wegen einer am 28.07.2010 auf der L. Straße in G. bei km 17,500 in Fahrtrichtung Gb. als Führerin eines Personenkraftwagens begangenen fahrlässigen Ordnungswidrigkeit der Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 31 km/h eine Geldbuße in Höhe von 320,00 € sowie ein mit einer Anordnung nach § 25 Abs. 2 a StVG versehenes einmonatiges Fahrverbot.
Den hiergegen eingelegten Einspruch der Betroffenen verwarf das Amtsgericht Fürstenfeldbruck mit Urteil vom 14.03.2011 gemäß § 74 Abs. 2 OWiG. Hiergegen wendet sich die Betroffene mit ihrer Rechtsbeschwerde; sie rügt die Verletzung formellen Rechts.
II. Der zulässigen Rechtsbeschwerde der Betroffenen ist mit der formgerecht erhobenen Verfahrensrüge (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO, § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG) der Verletzung der Fürsorgepflicht ein - zumindest vorläufiger - Erfolg nicht zu versagen.
Die Fürsorgepflicht als Unterfall und Konkretisierung des Fairnessprinzips ist ein selbständiges Institut des Strafverfahrens und des Ordnungswidrigkeitenrechts. Ihre Aufgabe besteht darin, den Verfahrensbeteiligten die Wahrnehmung ihrer prozessualen Befugnisse zu ermöglichen. Die Fürsorgepflicht kann es über die positiv rechtlich geregelten Fälle hinaus erfordern, namentlich beim unverteidigten Betroffenen durch Belehrungen, Hinweise, Rückfragen und Warnungen die sachgerechte Ausübung prozessualer Befugnisse anzuregen. Auch ergibt sich aus ihr die Pflicht auf eine sachgerechte Antragstellung hinzuwirken. Des Weiteren dient sie dem Schutz vor Überraschungsentscheidungen (LR/Kühne StPO 26. Aufl. Einl. I Rn. 121/124).
Hiernach war das Amtsgericht - vorliegend - verpflichtet, den Verteidiger der Betroffenen auf die fehlende "Erklärungsvollmacht" hinzuweisen, da der Verteidiger mehrmals unter Hinweis auf die dem Gericht vorliegende "Erklärungsvollmacht" die Entbindung der Betroffenen von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung beantragt hat und diese jeweils - ohne Begründung - zurückgewiesen worden ist.
Mit Schriftsatz vom 12.01.2011, eingegangen bei dem Amtsgericht Fürstenfeldbruck am selben Tag, hat der Verteidiger der Betroffenen unter Hinweis auf die dem Gericht vorliegende Erklärungsvollmacht beantragt, die Betroffene von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung zu entbinden. Ohne über diesen Antrag zu entscheiden hat das Amtsgericht mit "formularmäßiger" Begründung den Einspruch der Betroffenen verworfen. Auf die Rechtsbeschwerde, in der die fehlende Entscheidung über den gestellten Entbindungsantrag gerügt worden ist, hat das Amtsgericht von Amts wegen ohne Begründung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt. Unter Hinweis auf den Schriftsatz vom 12.01.2011 hat der Verteidiger der Betroffenen mit Schriftsatz vom 01.03.2011, eingegangen bei dem Amtsgericht Fürstenfeldbruck am selben Tag, erneut die Entbindung der Betroffenen von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung beantragt.
Das Amtsgericht hat den Antrag - ohne Begründung - zurückgewiesen. Nochmals unter Hinweis auf die dem Gericht vorliegende Erklärungsvollmacht hat der Verteidiger der Betroffenen wiederum die Entbindung der Betroffenen von der Verpflichtung zum Erscheinen in der Hauptverhandlung mit Schriftsatz vom 03.03.2011, eingegangen bei dem Amtsgericht Fürstenfeldbruck am gleichen Tag, beantragt. Auch diesen Antrag hat das Gericht ohne Begründung zurückgewiesen. Erstmals in der Verwerfungsentscheidung vom 14.03.2011 hat der Tatrichter ausgeführt, dass ein wirksamer Entbindungsantrag nicht gestellt worden sei, da eine besondere Verteidigungsvollmacht dem Gericht nicht vorgelegen habe.
III. Aufgrund des aufgezeigten Verfahrensfehlers ist das angefochtene Urteil mit den Feststellungen aufzuheben (§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, § 353 StPO). Die Sache wird zur neuen Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens - an das Amtsgericht Fürstenfeldbruck zurückverwiesen (§ 79 Abs. 6 OWiG).
Die Entscheidung ergeht durch Beschluss nach § 79 Abs. 5 Satz 1 OWiG.
Fundstellen
Haufe-Index 2858845 |
NStZ-RR 2012, 23 |