Entscheidungsstichwort (Thema)
Wirksamkeit der Berufungsbeschränkung. Verstöße gegen Doppelverwertungsverbot bei sexuellem Kindesmissbrauch. Berufungsbeschränkung. Doppelrelevanz. Revision. Strafzumessung. Rechtsfolgenausspruch. Missbrauch. Übergriff. sexuell. Kind. Schutzbefohlener. Tochter. Doppelverwertungsverbot. Tatfolgen. Zweifelsgrundsatz. Verschlechterungsverbot
Leitsatz (amtlich)
1. Einer Berufungsbeschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch (§ 318 StPO) steht nicht entgegen, dass das amtsgerichtliche Urteil für die Rechtsfolgenbemessung relevante Umstände nicht feststellt, weil das Berufungsgericht insoweit ergänzende Feststellungen treffen kann. Dies gilt auch dann, wenn bei einem Dauergeschehen der Umfang der Tathandlung nach den erstinstanzlichen Urteil offen bleibt (Anschluss an: BGH, Beschl. v. 27.04.2017 - 4 StR 547/16 = NJW 2017, 2482 = StraFo 2017, 280; Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung: OLG Bamberg, Urt. v. 11.03.2015 - 3 OLG 8 Ss 16/15 = VM 2015, Nr 21 = DAR 2015, 273 = BA Bd. 52 [2015], 217 = OLGSt StPO § 318 Nr 25 m.w.N.).
2. Es verstößt sowohl gegen das Verbot der Doppelverwertung (§ 46 Abs. 3 StGB) als auch gegen den Zweifelsgrundsatz, wenn bei einer Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes (§ 176 StGB) strafschärfend berücksichtigt wird, die "Tatfolgen seien nicht absehbar" (Anschluss an BGH, Beschl. v. 20.08.2003 - 2 StR 285/03 = NStZ-RR 2004, 41 = StV 2004, 479; 07.07.1998 - 4 StR 300/98 = StV 1998, 656; 09.12.1997 - 4 StR 596/97 = NStZ-RR 1998, 326 und 25.02.1997 - 4 StR 409/96 = StV 1997, 519).
3. Im Falle einer Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen nach § 174 Abs. 1 Nr. 3 StGB widerspricht es dem Doppelverwertungsverbot (§ 46 Abs. 3 StGB), wenn zulasten des Angeklagten gewertet wird, dass er das "Vertrauen des Tatopfers bewusst ausgenutzt" und dass das "Vater-Tochter-Verhältnis zerstört sei und neu aufgebaut werden müsse" (Anschluss an BGH, Beschl. v. 25.02.1997 - 4 StR 409/96 = StV 1997, 519 = NStZ 1998, 131 und 17.12.1993 - 4 StR 713/93 = StV 1994, 306 = BGHR StGB § 46 Abs. 3 Sexualdelikte 3).
4. Die Erwägung, es sei "trotz der zeitlichen Zäsur und der zwischenzeitlich empfundenen Reue zu einem weiteren Übergriff gekommen", stellt im Hinblick auf § 46 Abs. 3 StGB keinen zulässigen Strafschärfungsgrund dar (Anschluss u.a. an BGH, Beschl. v. 09.12.2014 - 3 StR 502/14 = NStZ-RR 2015, 71 = StV 2015, 487).
5. Die Lebensführung als solche darf dem Angeklagten nicht angelastet werden, solange sich diese weder als strafbares Verhalten darstellt noch sonst in einer Beziehung zu den abgeurteilten Taten steht (Anschluss an BGH, Beschl. v. 21.03.1979 - 4 StR 606/78 = NJW 1979, 1835; BGH, Urt. v. 07.09.1983 - 2 StR 412/83 = StV 1984, 21 = NStZ 1984, 259; 24.07.1985 - 3 StR 134/85 [bei [...]]; 18.10.1979 - 4 StR 517/79 = MDR 1980, 240 = JR 1980, 335 und 10.11.1953 - 1 StR 227/53 = BGHSt 5, 124).
6. Das Verschlechterungsverbot gemäß § 331 Abs. 1 StPO steht der Erhöhung einer Einzelstrafe auch dann entgegen, wenn zwar die Staatsanwaltschaft Berufung zu Ungunsten des Angeklagten eingelegt hatte, diese aber vom Berufungsgericht als unbegründet verworfen wurde (u.a. Anschluss OLG Bamberg, Beschl. v. 21.03.2017 - 3 OLG 8 Ss 28/17; 19.11.2014 - 3 OLG 8 Ss 152/14 [bei [...]] und 16.10.2014 - 3 OLG 7 Ss 132/14 = NStZ-RR 2015, 149).
Normenkette
StGB § 46 Abs. 3; StPO § 318 Abs. 1, § 331 Abs. 1; StGB §§ 174, 176
Tatbestand
Das AG verurteilte den Angekl. wegen "schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in 2 Fällen, jeweils zugleich des sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen, sowie des sexuellen Missbrauchs von Kindern in 2 Fällen, jeweils zugleich des sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen" zur Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren und 6 Monaten. Hierzu hat das AG in seinem Urteil folgende Feststellungen getroffen: An zwei nicht näher festzustellenden Zeitpunkten zwischen Februar 2015 und dem Beginn der Osterferien 2015 griff der Angekl. in die Unterhose seiner auf dem Bett bzw. der Wohnzimmercouch liegenden Tochter und manipulierte mit seiner Hand in kreisenden Bewegungen im Scheidenbereich des Kindes. Im 2. Fall drang er dabei mit einem Finger in die Vagina des Mädchens ein (Fälle 1 und 2). In den Osterferien 2015 forderte der Angekl. seine Tochter während eines Urlaubsaufenthalts in einem Hotel auf, an seinem erigierten Glied den Oralverkehr zu vollziehen, was diese jedoch ablehnte. Daraufhin leckte er am Schambereich seiner Tochter (Fall 3). Im Zeitraum nach der Beendigung des Urlaubs bis Mitte Mai 2015 führte der Angekl. in der gemeinsamen Wohnung in einem weiteren Fall einen Finger in die Vagina der Tochter ein und leckte deren Schambereich (Fall 4). Gegen dieses Urteil legten sowohl der Angekl. als auch die StA Berufung ein. Die StA beschränkte ihr Rechtsmittel auf den Rechtsfolgenausspruch. In der Berufungshauptverhandlung beschränkte der Angekl. sein Rechtsmittel "hinsichtlich der Fälle unter Ziffer II.-IV. der Gründe des erstinstanzlichen Urteils" auf den R...