Entscheidungsstichwort (Thema)
Strafaussetzung. Bewährung. Bewährungszeit. Bewährungszeitverlängerung. Bewährungsversagen. Bewährungswiderruf. Straftat. neu. Straferlass. Rückfall. Rückfallgeschwindigkeit. Anhörung. Anlasstat. Mitteilung. Kenntnis. Kriminalprognose. Rechtssicherheit. Rückwirkungsverbot. Rückwirkungsfiktion. Rechtsstaatsprinzip. Vertrauen. Vertrauenstatbestand. Vertrauensschutz. Schwebezustand
Leitsatz (amtlich)
Eine Straftat, die der Verurteilte nach Ablauf der ursprünglich bestimmten Bewährungszeit begeht, kann auch unter Vertrauensschutzgesichtspunkten jedenfalls dann einen Widerruf der Strafaussetzung rechtfertigen, wenn die Bewährungszeit durch eine nach diesem Zeitpunkt ergangene Entscheidung verlängert wurde und der Verurteilte bei Begehung der neuen Tat aufgrund einer vorherigen gerichtlichen Mitteilung mit einer bewährungsverlängernden Maßnahme rechnen musste (u.a. Anschluss an OLG Bremen, Beschl. v. 20.09.2019 - 1 Ws 67/19 = OLGSt StGB § 57 Nr 6 und KG, Beschl. v. 18.07.2018 - 5 Ws 78/18 bei juris).
Normenkette
GG Art. 2 Abs. 2, Art. 20 Abs. 3, Art. 103 Abs. 2; StGB §§ 1, 56f Abs. 1 S. 1 Nr. 1, S. 2, Abs. 3 S. 2; StPO § 306 Abs. 1, § 311 Abs. 1-2, § 453 Abs. 1, 2 S. 3
Tenor
I.
Die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 06.07.2021 wird als unbegründet verworfen.
II.
Der Verurteilte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
I.
Mit Urteil vom 08.05.2017, rechtskräftig seit demselben Tag, wurde der Verurteilte zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die Bewährungszeit wurde auf 3 Jahre festgesetzt und endete (ursprünglich) am 08.05.2020. Mit seit dem 09.06.2020 rechtskräftigen Strafbefehl vom 09.10.2019 wurde der Verurteilte wegen unbefugten Gebrauchs eines Fahrzeugs (Tatzeitraum: 11.05.2019 bis 13.05.2019) zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen verurteilt. Gemäß Verfügung vom 09.09.2020, dem Verurteilten zugestellt am 15.09.2020, wurde ihm unter Verweis auf den rechtskräftigen Strafbefehl vom 09.10.2019 mitgeteilt, dass die Staatsanwaltschaft beantragt hat, die Bewährungszeit um ein Jahr zu verlängern. Mit Beschluss vom 13.10.2020 wurde die Bewährungszeit (nachträglich) um ein Jahr bis einschließlich 07.05.2021 verlängert, weil der Verurteilte innerhalb der Bewährungszeit - wegen unbefugten Gebrauchs eines Fahrzeugs - erneut straffällig geworden war. Am 03.05.2021, rechtskräftig seit demselben Tag, verurteilte das Amtsgericht den Verurteilten wegen versuchten Privatwohnungseinbruchsdiebstahls (Tatzeit: 24.09.2020) zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr 6 Monaten. Gemäß Verfügung der - nunmehr wegen der seit 03.05.2021 vollstreckten Strafhaft zuständigen - Strafvollstreckungskammer vom 08.06.2021, dem Verteidiger des Verurteilten zugestellt am 09.06.2021, wurde ihm unter Verweis auf das rechtskräftige Urteil vom 03.05.2021 mitgeteilt, dass die Staatsanwaltschaft beantragt hat, die Bewährung zu widerrufen. Mit Beschluss vom 06.07.2021, der dem Verteidiger des Verurteilten am 12.07.2021 zugestellt wurde, widerrief die Strafvollstreckungskammer die bezüglich des Urteils vom 08.05.2017 bewilligte Aussetzung der Vollstreckung der darin gebildeten Freiheitsstrafe von 2 Jahren zur Bewährung, weil der Verurteilte wegen Straftaten, die er während der Bewährungszeit und vor Straferlass begangen hatte, rechtskräftig verurteilt wurde, und rechnete die zur Erfüllung der Bewährungsauflage erbrachte Arbeitsleistung von 250 Stunden mit 6 Wochen auf die erkannte Freiheitsstrafe an.
Gegen diese Entscheidung hat der Verurteilte mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 14.07.2021, der per Telefax am selben Tag beim Landgericht einging, sofortige Beschwerde eingelegt, ohne diese zu begründen. Die Generalstaatsanwaltschaft hat mit Zuleitungsschrift vom 26.07.2021 beantragt, die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 06.07.2021 als unbegründet kostenfällig zu verwerfen. Der Verurteilte wurde hierzu angehört, äußerte sich jedoch nicht mehr.
II.
Gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 06.07.2021 ist gemäß § 453 Abs. 1, Abs. 2 Satz 3 StPO die sofortige Beschwerde statthaft. Diese ist form- und fristgemäß eingelegt (§§ 306 Abs. 1, 311 Abs. 1 und 2 StPO), hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Die angefochtene Entscheidung entspricht der Sach- und Rechtslage.
1. Der Widerruf der Strafaussetzung ist nach § 56f Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB gerechtfertigt. Hiernach ist die Strafaussetzung zu widerrufen, wenn der Verurteilte in der Bewährungszeit eine Straftat begeht und dadurch zeigt, dass sich die Erwartung, die der Strafaussetzung zugrunde lag, nicht erfüllt hat. Dies ist hier der Fall. Der Verurteilte wurde mit Urteil vom 03.05.2021, rechtskräftig seit 03.05.2021, wegen versuchten Privatwohnungseinbruchsdiebstahls (Tatzeit: 24.09.2020) zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr 6 Monaten verurteilt. Zuvor wurde gegen den Verurteilten mit Strafbefe...