Leitsatz (amtlich)
1. Nach Vorlage der Rechtsmittelbegründung kann dem Rechtsmittelgegner ein berechtigtes Interesse nicht mehr abgesprochen werden, mit anwaltlicher Hilfe eine Zurückweisung des Rechtsmittels anzustreben und einen entsprechenden Antrag anzukündigen. Ein möglicherweise verfrüht, nämlich bereits unmittelbar nach Einlegung des Rechtsmittels gestellter Zurückweisungsantrag des Rechtsmittelgegners wirkt auf diesen Zeitpunkt fort, denn es würde auf eine unnötige Förmelei hinauslaufen, von dem Rechtsmittelgegner zu erwarten, dass er nach Eingang der Rechtsmittelbegründung nochmals einen Schriftsatz mit einem Gegenantrag bei Gericht einreicht, um die Erstattungsfähigkeit der vollen Verfahrensgebühr herbeizuführen (Anschluss an BGH NJW 2009, 2220; VersR 2010, 1470; OLG Köln MDR 201, 1222; OLG Stuttgart JurBüro 2007, 36; OLG Oldenburg JurBüro 2007, 208). Maßgebend ist der Zeitpunkt, zu dem die Rechtsmittelbegründung dem Gegner zugeleitet wird.
2. Liegen die Voraussetzungen der Erstattungsfähigkeit der vollen Verfahrensgebühr nach Nr. 3200 RVG-VV vor, weil der Gegner nach der an ihn erfolgten Zuleitung der Rechtsmittelbegründung einen Verteidigungsschriftsatz eingereicht hat oder wirkt ein verfrüht gestellter Antrag auf diesen Zeitpunkt fort und ist auch kein Ausnahmetatbestand gegeben, bei dessen Vorliegen eine notwendige Verteidigung i.S.v. § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO gleichwohl verneint werden müsste, so hat es hiermit auch im Fall einer nachfolgenden Berufungsrücknahme sein Bewenden (abweichend von BGH NJW 2007, 3723).
Normenkette
ZPO § 91 Abs. 1 S. 1; RVG-VV Nr. 3201 Nr. 1, Nr. 3200
Verfahrensgang
LG Aschaffenburg (Beschluss vom 05.11.2010; Aktenzeichen 22 O 132/09) |
Tenor
I. Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird der Kostenfestsetzungsbeschluss des LG Aschaffenburg vom 5.11.2010 - 22 O 132/09 - wie folgt abgeändert:
Die von dem Beklagten an den Kläger nach dem rechtskräftigen Endurteil des LG Aschaffenburg vom 27.5.2010 und dem Beschluss des 1. Zivilsenats des OLG Bamberg vom 23.9.2010 gem. §§ 104, 106 ZPO zu erstattenden Kosten werden auf 1.639,99 EUR nebst Jahreszinsen hieraus i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 714,39 EUR seit 1.6.2010 und aus 925,60 EUR seit 28.9.2010 festgesetzt.
II. Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 283 EUR festgesetzt.
IV. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I. Im zugrunde liegenden Rechtsstreit hatte der Kläger Ansprüche i.H.v. insgesamt 21.653,26 EUR aus einem gewerblichen Mietverhältnis geltend gemacht. Mit Endurteil vom 27.5.2010 verurteilte das LG Aschaffenburg den Beklagten unter Klageabweisung im Übrigen - zur Zahlung von 13.452 EUR. Die Kostenentscheidung erfolgte in einem Verhältnis von 38 % (Kläger) zu 62 % (Beklagter). Gegen dieses Urteil legte der Beklagte mit Anwaltsschriftsatz vom 23.6.2010, bei dem OLG eingegangen am selben Tag und dem klägerischen Prozessbevollmächtigten zugestellt am 29.6.2010, Berufung ein. Mit weiterem Anwaltsschriftsatz vom 2.8.2010, bei dem OLG eingegangen am selben Tag, begründete der Beklagte seine Berufung. Dieser Schriftsatz, verbunden mit der Mitteilung der Prüfung einer Sachbehandlung nach § 522 Abs. 2 ZPO, wurde dem Kläger am 5.8.2010 zugestellt. Mit Beschluss vom 2.9.2010 wies der Senat auf die von ihm beabsichtigte Zurückweisung der Berufung hin. Der Beklagte nahm daraufhin sein Rechtsmittel mit Schriftsatz vom 21.9.2010 zurück. Nachdem der Kläger bereits unmittelbar nach Berufungseinlegung (mit Anwaltsschriftsatz vom 30.6.2010) Zurückweisung des Rechtsmittels beantragt hatte, äußerte er sich im weiteren Verlaufe des Berufungsverfahrens nicht mehr.
Mit Antrag vom 27.9.2010 begehrte er für das Berufungsverfahren die Festsetzung einer 1,6-fachen Verfahrensgebühr gem. Nr. 3200 RVG-VV. Die Rechtspflegerin bei dem LG Aschaffenburg erkannte hingegen im Kostenfestsetzungsbeschluss vom 5.11.2010 nur eine 1,1-fache Verfahrensgebühr gem. Nr. 3201 Nr. 1 RVG-VV zu. Zur Begründung führte sie u.a. aus, dass der Zurückweisungsantrag verfrüht gestellt worden sei. Unter Bezugnahme auf die Entscheidung des VI. Zivilsenats des BGH vom 3.7.2007 (NJW 2007, 3723) vertritt sie die Auffassung, dass in derartigen Fällen eine 1,6-fache Verfahrensgebühr nur dann vom Gegner zu ersetzen sei, wenn das Rechtsmittel begründet werde und eine Sachentscheidung hierüber ergehe. An Letzterem fehle es vorliegend.
Gegen diesen, seinem Prozessbevollmächtigten am 18.11.2010 zugestellten Beschluss hat der Kläger mit Schriftsatz vom 23.11.2010, eingegangen am Folgetag, sofortige Beschwerde eingelegt. Er ist der Auffassung, dass der vom Erstgericht zitierten höchstrichterlichen Entscheidung nicht gefolgt werden könne.
Die Rechtspflegerin bei dem LG Aschaffenburg hat mit weiterem Beschluss vom 23.12.2010 der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und sie dem OLG Bamberg zur Entscheidung vorgelegt. Der Beklagte hatte Gelegenheit zur Äußerung.
Wegen der weiteren Einze...